Reden und Grußworte aus 2020

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Leitartikel für den Jahresbericht 2020/21 der kirchlichen Telefonseelsorge Berlin-Brandenburg

Es gibt Situationen, die ausweglos erscheinen. Manch einer geht dann spazieren, sucht Ablenkung im Menschentrubel oder hört Musik. Das ersetzt aber nicht ein gutes Gespräch.
Gedanken sortieren, Wertigkeiten festlegen, die nächsten Schritte beraten, professionelle  Unterstützung finden, Hilfe zulassen. Davor steht immer die Überwindung, sich jemandem anzuvertrauen, die Telefonnummer zu wählen. Das Gespräch am Telefon mag leichter fallen als in einem Büro, einander gegenübersitzend. Um so verantwortungsvoller ist jeder Rat an einen Menschen in Not.
Die Telefon-Seelsorge arbeitet ehrenamtlich, als Dienst Einzelner für Einzelne, nicht sichtbar und nach außen unhörbar. Vertraulichkeit ist oberstes Gebot. In einer Gesellschaft, in der die Bereitschaft zum Zuhören nicht selbstverständlich ist und Zeit als „kostbar“ gilt, leisten viele hundert Menschen im Ehrenamt eben dies: Sie nehmen sich Zeit und hören zu.
Das Coronavirus mit seinen Auswirkungen hat diese Arbeit noch wichtiger gemacht und sie zugleich erschwert. Die Zahl der Anrufe stieg mit Beginn der Krise im Frühjahr sprunghaft an.
Einsamkeit, Verunsicherung, fundamentale Zweifel, Sorge um geliebte Angehörige, nicht zuletzt Konflikte in der Familie oder wirtschaftliche Nöte – das alles hat infolge von Krankheit, Kontaktbeschränkungen oder Kurzarbeit deutlich zugenommen. Die Angst, die sehr konkret oder eher diffus viele Menschen umtreibt, beschäftigt auch die ehrenamtlichen Telefon-Seelsorgerinnen und -Seelsorger.
Viele von ihnen wiederum hatten selbst Grund zur Sorge um Familienmitglieder oder um die eigene Gesundheit. Nicht alle Ehrenamtler konnten wie gewohnt ihr Ehrenamt ausfüllen. Mehr Anrufern, zum Teil nervös und gereizt, standen weniger Telefonseelsorger zur Verfügung.
Selbst ausgeglichen, stark und ruhig zu bleiben verlangt besonders viel ab an Kraft und Menschenliebe. Manche Anrufer würden in der Krise aggressiver, berichtete im November Corinna Preuß, Leiterin der kirchlichen Telefonseelsorge in Cottbus: „Viele verstehen die Situation einfach nicht mehr.“ Eine Hamburger Kollegin ergänzte, hinter Wut stecke ebenso wie hinter der Verzweiflung häufig eine große Angst und Unsicherheit, wie es weitergehen soll.
Genau weiß das zu Beginn des Jahres 2021 niemand. Eines aber ist klar: Die Telefon-Seelsorge und das Ehrenamt an sich sind in der Krise wichtiger denn je. Die Bedingungen sind schwieriger, der Bedarf aber an freiwilligem Engagement und praktischer Solidarität noch größer. Ich hoffe und bin sicher, dass die Corona-Pandemie noch einmal unterstreicht, wie unersetzlich das Ehrenamt für eine mitfühlende Gesellschaft ist, in der Menschen an andere denken und ihnen helfen.
Brandenburg ist ein Land des freiwilligen Engagements und der zivilgesellschaftlichen Teilhabe. Jeder Dritte engagiert sich in einem Ehrenamt oder bürgerschaftlichem Dienst – nach dem jüngsten Freiwilligensurvey im Auftrag der Bundesregierung waren es hierzulande sogar fast 39 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. In Berlin liegt dieser Anteil an der Bevölkerung geringfügig niedriger, was bereits auf ein Charakteristikum des Ehrenamts hindeutet: In ländlichen Regionen ist das Engagement stärker ausgeprägt als in Städten, hier gibt es sie noch, die dörflichen Strukturen, in denen man sich kennt und hilft.

Dabei ist der Bedarf überall ähnlich vorhanden, wenn auch teilweise unterschiedlich ausgeprägt: Sind es in kleinen Gemeinden vor allem die Sportvereine, die freiwillige Feuerwehr oder die Kulturinitiative, in der sich viele Menschen einbringen, geht es in größeren Orten häufiger auch um psychosoziale Begleitung und Unterstützung etwa bei den Tafeln oder anderen Projekten für bedürftige oder benachteiligte Menschen. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger üben Wahlämter aus im kommunalpolitischen Ehrenamt, ob als Gemeindevertreter oder Ortsbürgermeisterin.
Die Motive für regelmäßiges freiwilliges Helfen können sehr unterschiedlich sein. Alle vereint der Wunsch, etwas für andere oder für das Gemeinwesen zu tun. Von der Jugendarbeit über die ehrenamtliche Seelsorge etwa am Telefon bis zur Betreuung von Älteren – wer sich engagiert, leistet einen unschätzbaren und unverzichtbaren Dienst für einzelne Menschen und die Gesellschaft insgesamt; ob dem der Glaube an Gott, humanistische Überzeugung oder sozialpolitisches Engagement zugrunde liegt. So antwortet eine junge Fußballtrainerin im kleinen Brandenburger Ort Bötzow auf die Frage nach dem Warum, sie sehe es als Aufgabe, „die Kinder von der Straße zu holen“ und ihnen durch den Sport „bei der Persönlichkeitsentwicklung zu helfen“.
Das Ehrenamt wiederum kann im Gemeinschaftserlebnis Freude bringen. Ob Heimatverein oder Chorleitung, ob Feuerwehr oder Schöffengericht: Wer etwas von sich weitergibt, andere unterstützt und im Leben ein Stück weit begleitet, ist selbst weniger allein und erfährt, wie wichtig sein Beitrag für das große Ganze ist. Die Befriedigung, die daraus erwachsen kann, entfaltet eine enorme positive Kraft.
Interessant ist, dass mehr Männer als Frauen ein Ehrenamt ausüben. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein; eine Erklärung ist die stärkere Einbindung von Müttern in der Familie – trotz einer unbestreitbaren Aufweichung traditioneller Rollenmuster. Die Zeit, die Frauen für die Betreuung von Kindern oder Angehöriger aufbringen, fehlt ihnen für ehrenamtliche und freiwillige Tätigkeiten außerhalb der Familie. Das Deutsche Zentrum für Altersfragen, das auch alle fünf Jahre für die Bundesregierung den „Freiwilligensurvey“ über ehrenamtliches Engagement in allen Altersgruppen erstellt, kam Ende 2019 zu der Schlussfolgerung: „Um mehr Frauen über den Lebenslauf hinweg für freiwilliges Engagement zu gewinnen, ist es also unter anderem notwendig, stereotype Geschlechterrollen und die traditionelle Arbeitsteilung aufzubrechen.“ Es bleibt eine Aufgabe, für interessierte Frauen die Hürden abzubauen, die sie jetzt zu oft noch beispielsweise von einer Kandidatur für die Gemeindevertretung oder der Übernahme von Vereinsaufgaben abhalten.
Wir stehen vor einem enormen Transformationsprozess der Gesellschaft, die Themen Diversität, Nachhaltigkeit und Demokratie weiterzuentwickeln. Dabei kommt den Vereinen als Trägern ehrenamtlicher Arbeit eine besonders wichtige Rolle zu. Vereinsunterstützung ist Förderung des Ehrenamtes, seiner Rahmenbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten. Die Hoffnung liegt auf einer jungen Generation, die sich wieder stark politisch organisiert und deren Werte konsequent auf den Erhalt der Erde und des Miteinanders der Menschen gerichtet sind.
Ohne eine gewisse Portion Uneigennutz – oder anders ausgedrückt: Nächstenliebe – wäre das Ehrenamt kaum so verbreitet und beliebt. Der Dank der Gesellschaft sowie des Staates ist unerlässlich und im Übrigen hoch verdient. Anerkennung ist wichtig. In Brandenburg hat der Ministerpräsident die Ehrenamtspolitik zur Chefsache erklärt. Auch der Landtag und seine Präsidentin fördern freiwilliges Engagement auf vielfältige Weise: So werden jedes Jahr bis zu 30 Bürgerinnen und Bürger in einer feierlichen Zeremonie mit der „Medaille des Landtages Brandenburg zur Anerkennung von Verdiensten um das Gemeinwesen“ ausgezeichnet, ihnen gilt stellvertretend für alle Engagierten der höchste Respekt aller Abgeordneten.

Wie wichtig Anerkennung und staatliche Unterstützung für die ehrenamtlichen Helfer und ihre Strukturen sind, zeigte sich einmal mehr in den Jahren ab 2015. Zahlreiche Willkommensinitiativen für Geflüchtete und ihre Familien entstanden spontan überall in Brandenburg. Die Freiwilligen konnten ihre wichtige Arbeit auch deshalb leisten, weil das Land rasch zusätzliche Mittel mobilisierte und vor allem verschiedene Beteiligte im „Bündnis für Brandenburg“ an einen Tisch brachte. Der Zusammenschluss unterstützt Initiativen vor Ort und hat wesentlich dazu beigetragen, Menschen in Not zu helfen und sie in die hiesige Gesellschaft zu integrieren.
Neue Themen stehen an: Brandenburg ist vielfältig mit seinen Städten, dem Berlin-Speckgürtel und dem ländlichem Raum. Die Zusammensetzung der Bevölkerung unterscheidet sich je nach Region stark, und folglich haben die Menschen auch andere Probleme. Wer digitalisieren will, muss erst für den Netzausbau überall sorgen, Mobilität und Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind sehr verschieden, Ärzte fehlen. Junge Menschen wandern noch immer aus dem ländlichen Raum ab.
Für das Zusammenleben in den Orten, für die Familien, die lokale Wirtschaft, das Gesundheitswesen und alle gesellschaftlichen Strukturen von der Feuerwehr über den Fußballklub bis zur Kirchengemeinde hat die demografische Entwicklung tiefgreifende Folgen.
Aber: Das Dorf hat Zukunft, wenn Initiative und Ideen von unten auf geeignete Behörden- und Förderstrukturen treffen und sich weiterhin vernetzen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger tauschen Erfahrungen aus, unterstützen sich bei Projekten und Bildungsangeboten, und ja:
machen sich gegenseitig Mut zum Dranbleiben, Durchhalten, Weitermachen.
In Brandenburg hat die Vernetzung in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht, etwa mit der Gründung der „Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen“ (LAGFA) und des „Landesnetzwerkes für bürgerschaftliches Engagement und Anerkennungskultur“. Eines ist dennoch unbestritten: Das Ehrenamt braucht das Hauptamt – und umgekehrt. Ein Schlüssel zum weiteren Erfolg wird darin liegen, dass Behörden in Bund, Land und Kommune die freiwillig engagierten Bürgerinnen und Bürger sehr viel stärker ernst nehmen und ihnen so wenig Vorgaben wie möglich machen – zumal aus der Ferne –, während sie gleichzeitig ihr Engagement so weit wie nötig unterstützen, auch finanziell.
Letztendlich sind es doch Wissen und Erfahrung unterschiedlichster Menschen aus vielen Orten, die das Ehrenamt wertvoll machen. Ob selbst erstarkt aus einer Krise hervorgegangen oder voller Engagement stetig weitergebildet – ohne seine Ehrenamtler ist Brandenburg undenkbar. Die Telefonseelsorge nimmt dabei einen dringend notwendigen Platz ein, sehr besonders durch die sensiblen und empathischen Ansprechpartner.
Ich wünsche den Telefonseelsorgern viel Kraft und Hoffnung für ihre wertvolle Arbeit.

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Anzünden des Chanukka-Lichtes am 12.12.2020 um 19:00 Uhr vor dem Landtag (Steubenplatz)

Sehr geehrter Herr Rabbiner (Nachum) Presman,
sehr geehrte Herren Gemeindevorsitzende,
sehr geehrte Ministerin Dr. (Manja) Schüle,
sehr geehrter Herr (Pete) Heuer (Vorsitzender SVV Potsdam)
sehr geehrte Damen und Herren,

Chanukka ist das Fest des Lichts und der Hoffnung.
Beides können die Menschen, wir alle, in diesen Tagen gut brauchen.
Es ist mir deshalb eine Freude, gemeinsam mit Ihnen wieder ein Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Landtag anzünden zu dürfen. Es ist schön und wichtig, dass wir dieses traditionsreiche Chanukka-Fest auch in diesem Jahr feiern können – mit Abstand, aber zusammen und im Inneren vereint.
Beieinander sein, füreinander einstehen, Zuversicht und Hoffnung geben: Das ist heute wichtiger denn je. In Potsdam und im Land Brandenburg waren und sind es Menschen unterschiedlicher Religionen, die zusammenhalten und sich gemeinsam einsetzen für Menschlichkeit und Solidarität. Das ist ein großes Geschenk.
Jedoch werden wir das Leid, das Deutsche durch die Verfolgung und Ermordung von Millionen jüdischer Menschen verursacht haben, niemals vergessen. Vor 75 Jahren wurde Europa vom Nationalsozialismus befreit und der von den Nazis angezettelte Krieg beendet. Die Erinnerung an die Opfer bleibt eine ständige Mahnung, für die heutige wie für kommende Generationen.
Es gibt auch heute bei jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Verunsicherungen und Ängste, das ist leider Realität. Spätestens seit dem Anschlag von Halle und angesichts von antisemitischen Anfeindungen auf der Straße, in sozialen Medien oder andernorts fragen sich viele, wie unbehelligt und sicher sie und ihre Angehörigen hier leben können.
Der Landtag nimmt diese Sorgen ernst und hat sich im Januar dieses Jahres ausdrücklich dazu bekannt, jüdisches Leben in Brandenburg zu fördern und zu schützen – gegen Angriffe jeglicher Art. Das Parlament hat die Leistungen all derer gewürdigt, die das rege Leben in den jüdischen Gemeinden mit aufgebaut haben und pflegen. Dazu tragen auch die School of Jewish Theology und das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam sowie das Zacharias Frankel College bei, die sich der Ausbildung von Rabbinerinnen und Rabbinern, Kantorinnen und Kantoren widmen.
Denn das jüdische Leben soll nicht im Verborgenen blühen – es soll sichtbar und vernehmbar sein, als ein selbstverständlicher, bereichernder Teil der demokratischen Gesellschaft.
Gut sichtbar ist auch unsere heutige Feier zum Chanukka-Fest: Ein Licht mitten in der Landeshauptstadt, direkt am Brandenburger Parlament. Es ist ein Zeichen der Zuversicht, des Glaubens an das Gute – und wenige Tage vor dem christlichen Weihnachtsfest auch ein Symbol der Verbundenheit der Religionen. Gemeinsam hoffen Juden, Christen und Muslime auf Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.
Ich wünsche uns allen, dass das Chanukka-Licht leuchtet für ein gutes Miteinander, für Menschlichkeit und Solidarität – bei uns in Brandenburg und überall.

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Grußwort von Landtagspräsidentin Prof. Dr. Liedtke zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November 2020 im Innenhof des Landtages

Sehr geehrte Frau Ministerin Nonnemacher,
sehr geehrte Frau Augustin,
sehr geehrte Frau Sprengel,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
(sehr geehrte ZuschauerInnen der Liveübertragung),

wie in jedem Jahr erinnern wir an diesem 25. November an die Frauen, die misshandelt, angegriffen, eingesperrt oder getötet werden.
Einerseits freue ich mich, dass wir dies an einem Ort wie dem Landtag Brandenburg tun und dass das Interesse an diesem Aktionstag erneut groß ist. Wegen der Corona-Pandemie ist der Kreis hier zwar kleiner, aber das Thema wird in Medien und Veranstaltungen weiterhin ausführlich behandelt, und auch die Politik im Bund wie in den Ländern und auf internationaler Ebene ist sensibilisiert.
Auf der anderen Seite ist es traurig und erschütternd, dass dieser Tag nach wie vor notwendig ist.
Dazu einige aktuelle Zahlen:

  • Weltweit hat (nach Angaben der Vereinten Nationen) mehr als jede dritte Frau schon einmal Gewalt oder sexualisierte Gewalt erlebt, sei es durch einen Partner oder jemanden anders. Dabei ist sexuelle Belästigung nicht einmal miterfasst.
  • In einigen Staaten haben sich während der Corona-Pandemie die Notrufe wegen häuslicher Gewalt verfünfacht. Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, soziale Isolation, Jobverlust oder wirtschaftliche Unsicherheit schaffen zusätzlich Gefahr für Abermillionen von Frauen.
  • Jeden Tag werden 137 Frauen in aller Welt von einem Familienmitglied umgebracht.
  • In Deutschland wurden im Jahr 2019 (nach Angaben der Bundesregierung) insgesamt fast 142.000 Menschen Opfer von Partnergewalt;
    vier von fünf Opfer waren weiblich, bei Sexualdelikten sind es sogar 98 Prozent.
  • Mehr als 130 Frauen fielen im vergangenen Jahr einem Femizid zum Opfer, der Tötung im Zusammenhang mit geschlechtsbezogener Gewalt.

Für diese Opfer eines Femizids stehen hier im Innenhof des Landtages heute rote Schuhe: Ein Parr für jede Frau, die von ihrem Partner oder einem anderen Mann getötet wurde.
Anrede,
das sind erschreckende Zahle. Und die Dunkelziffer ist hoch, das gehört zur Wahrheit dazu.
Schrecklich sind neben körperlichen auch die seelischen Verletzungen, die Frauen jeden Tag zugefügt werden. Viele Opfer erholen sich von diesen Verletzungen nie mehr ganz, sie bleiben für ihr Leben gezeichnet.
Den Betroffenen zu helfen, in der akuten Notlage wie auch langfristig hinterher – das ist die eine große Aufgabe. Es gibt Hilfetelefon und Beratungsangebote, Frauenhäuser und engagierte Organisationen. Wie nötig sie leider besonders in dieser Krisenzeit, zeigt sich an der Großen Zahl der Frauen, die sie in Anspruch nehmen.
In Brandenburg wurden diese Einrichtungen in den vergangenen Jahren verstärkt gefördert, und daran wollen wir festhalten. Zusammen mit dem Bund wird auch hier das Programm
„Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ umgesetzt: Hilfs- und Unterstützungsangebote sollen ausgebaut werden.
Ein Beispiel: Wir benötigen neue Wohnformen für Frauen, die mit ihren Kindern Schutz vor gewalttätigen Ehemännern oder Partnern suchen.
An dieser Stelle möchte ich die vielen Menschen würdigen, die sich im Haupt- und Ehrenamt, in Frauenhäusern und anderen Einrichtungen, in Verwaltungen und im Frauenpolitischen Rat jeden Tag gegen Gewalt an Frauen einsetzen und Frauen unterstützen, die Gewalt erfahren haben.
Vielen Dank für Ihren Einsatz!
Die zweite, mindestens ebenso wichtige Aufgabe ist es, die Gewalt einzudämmen, ihr möglichst wirksam vorzubeugen. Auch dazu gibt es vielfältige Initiativen, Runde Tische, Programme. Ich glaube allerdings, dass hier noch viel zu tun bleibt, gerade in der langfristigen Prävention:
Schon junge Menschen müssen lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Und junge Männer müssen erfahren und begreifen, dass Frauen kein Freiwild sind. Oder positiv ausgedrückt:
Respektvoller Umgang miteinander fängt in den Familien, den Schulen, in Freizeiteinrichtungen und im Sportverein an.
Dazu gehört eine erhöhte Aufmerksamkeit aller für häusliche Gewalt.
Wegsehen darf keine Option sein, für niemanden, weder Angehörige noch Nachbarn oder Freunde. Wer selbst nicht eingreifen kann oder will, kann die Polizei rufen. Nur durch ein besseres und aufmerksameres Miteinander lässt sich der Anstieg der Gewalttaten gegen Frauen stoppen.
Die Bestrafung der Täter durch ein Gericht ist immer nur das letzte, wenngleich oftmals notwendige Mittel. Und es kommt für die betroffenen Frauen zu spät.
Anrede,
Wir setzen mit dem Hissen der Flagge heute ein Zeichen für Solidarität mit Frauen, die Gewalt erleiden.
Ich habe die Hoffnung, dass dieses kleine Zeichen auch an vielen anderen Orten dazu beiträgt, die Aufmerksamkeit für diese Gewalt zu erhöhen und ihr so entgegenzuwirken.

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Begrüßung zur Sozialstudie der LAkD am 24. November 2020

Anrede,
es ist ein gewichtiges Werk, das mir Frau Dr. Nooke hier heute übergeben hat. Und das im doppelten Sinne:
Die Studie ist sehr umfangreich mit ihren mehr als 320 Seiten. Eine ausführliche Arbeit, methodisch und empirisch sorgsam erstellt und schon deshalb für alle Interessierten ein wertvolles Arbeitsergebnis. Gewicht hat diese Untersuchung aber auch, weil sie die erste ihrer Art jedenfalls für Brandenburg ist. Sie ist ein wichtiger Schritt im langen Prozess der Aufarbeitung und Wiedergutmachung von Diktaturgeschichte in unserem Land, der von einem möglichen Abschluss noch weit entfernt ist.
Ein Meilenstein dabei und zugleich Grundlage für vieles Folgende war die Enquetekommission des Landtages in der 5. Legislaturperiode, die sich mit dieser Aufarbeitung der SED-Diktatur und ihren Folgen beschäftigt hat. Die Diskussionen in der Kommission waren niemals einfach, oft kontrovers, manchmal bitter. Die Beteiligten haben es sich nicht leichtgemacht, ob sie Abgeordnete des Landtages waren, hinzugezogene Experten oder direkt oder indirekt Betroffene.
Ein zentrales Thema, das die Enquete untersuchte, war das Schicksal von Menschen, die in der DDR politisch verfolgt oder benachteiligt wurden. Sie haben Unrecht erlitten, oft auf härteste Weise und über lange Zeit: Bespitzelung und Überwachung, Diskriminierung, Ausbildungs- und Berufsverbot, Drangsalierung, Doping, Enteignung, Umsiedlung, Inhaftierung, Wegsperren in Jugendheimen oder Psychiatrie, Trennung von Eltern oder Kindern, und – ein schreckliches Wort - , die so genannte „Zersetzung“.
In der Sozialstudie heißt es, über die Zahl der Betroffenen gebe es immer noch keine verlässlichen Angaben. Eine wird dann aber doch genannt, und sie hat mich schockiert:
Wenn man die mittelbar betroffenen Angehörigen einbezieht, steht auf Seite 20-21, mussten und müssen bundesweit mehr als eine Million Menschen mit den Erfahrungen politischer Verfolgung und Systemunrecht in Ostdeutschland zwischen 1945 und 1989 leben. Über eine Million! Diese Zahl lässt, wie es mit Zahlen ist, die Einzelschicksale außen vor – aber sie macht die Dimension deutlich, über die wir hier reden.
In der Aufarbeitung des Unrechts, im Umgang mit den Betroffenen gibt es unterschiedliche Schritte, alle sind wichtig:

  • Die Menschen haben ein Recht darauf, gehört und ernst genommen zu werden, ihre Geschichten erzählen zu können.
  • Sie haben Anspruch darauf, dass die Gesellschaft ihr Leid anerkennt und nicht vergisst oder verdrängt.
  • Eine zentrale Aufgabe ist zudem die Rehabilitation. Rechtlich hat es dazu in den vergangenen Jahren Fortschritte gegeben, vor gut einem Jahr erst wurde das SED- Unrechtsbereinigungsgesetz im Bund novelliert.
  • Und schließlich gilt es sicherzustellen, dass die Gesellschaft, die Nation aus dem Schicksal der Betroffenen die richtigen Schlüsse zieht und dafür sorgt, dass es anderen nicht widerfahren kann. Dieses „Nie wieder!“ ist wohl auch ein Motiv dafür, dass viele Opfer von SED-Unrecht der demokratischen Gesellschaft positiver gegenüberstehen als die Durchschnittsbevölkerung, wie die Studie zeigt. Viele sind selbst politisch oder zivilgesellschaftlich engagiert, vermutlich aus ähnlichen Gründen. Sie wissen aus eigener, schmerzvoller Erfahrung, wie dünn das Eis der Zivilisation sein kann.


Anrede,
lassen Sie mich hier kurz einhaken und einen mir wichtigen Punkt ansprechen: Die Studie und das, was die von SED-Unrecht Betroffenen erlebt haben, zeigen eines in absoluter Deutlichkeit:
Jedem Versuch, das SED-Regime und unsere Demokratie heute auf eine Stufe zustellen, müssen wir klar widersprechen.
Wer unseren demokratischen Rechtsstaat als Diktatur bezeichnet, wertet nicht nur das Heute ab und untergräbt die freiheitliche Ordnung. Er verharmlost auch das in der DDR verübte Unrecht und verhöhnt so dessen Opfer.
Auch aus diesem Grund wünsche ich der Sozialstudie eine möglichst große Verbreitung, reges Interesse und uns allen fruchtbare Diskussionen über ihren Inhalt. Die Untersuchung bietet eine solide Datenbasis für die weitere Forschung und ebenso für künftige politische Entscheidungen zu diesem wichtigen Thema.
Der Landtag hat die Studie beschlossen und gefördert. Ich freue mich darauf, von Ihnen, Frau Dr. Nooke, und von den beteiligten Wissenschaftlern des Berliner Instituts fürs Sozialforschung nun weitere Einzelheiten und Einordnungen zu erfahren.

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Volkstrauertag 14.11.2020 – Gedenkveranstaltung in Baruth/Mark

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident a.D. Gunter Fritsch,
sehr geehrte Frau Landrätin Kornelia Wehlan,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Peter Ilk,
sehr geehrter Herr Oberst Olaf Detlefsen (Kommandeur Landeskommando Bbg.)
sehr geehrter Herr Oliver Breithaupt,
(ggf. Vertreter der Russischen Botschaft – N.N.),
sehr verehrte Damen und Herren!

Trauer ist ein Gefühl, das die Menschen einander nahebringt.
Wenn die Lebenden der Toten gedenken, so werden diese in der Erinnerung wieder begreifbar, fassbar, in einem übertragenen Sinne fast lebendig.
Und die Lebenden kommen einander ebenso durch gemeinsame Trauer näher.
Auch deshalb ist das Gedenken an die Kriegstoten und die Opfer von Gewaltherrschaft jedes Jahr am Volkstrauertag so wichtig:
Es vereint Menschen in der würdigenden Erinnerung an diejenigen, die zu früh gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden.
In diesem Jahr ist es wegen der Corona-Pandemie schwieriger, die Nähe am Volkstrauertag zu erleben. Versuchen wollen wir es dennoch – denn die Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt muss auch in Zeiten wachgehalten werden, in denen auf ganz andere Weise großes Leiden und millionenfacher Tod über die Welt gekommen sind, durch ein heimtückisches Virus.
In diesem Jahr der Pandemie ist viel von Heldinnen und Helden die Rede gewesen. Und das in einem Sinne, der diesem zweifelhaft gewordenen Begriff einen neuen, positiven Inhalt gibt:
Heldinnen und Helden, das sind heute Krankenschwestern und Pfleger, Ärzte und Menschen, die in einer tiefen Krise das Gemeinwesen am Laufen halten und anderen durch selbstlosen Einsatz helfen.
Ein größerer Widerspruch zum überkommenen, veralteten Sinn des Wortes ist kaum denkbar:
Helden – so wurden früher vor allem Soldaten genannt, die im Krieg ihr Leben verloren hatten, allzu oft für eine Idee oder Ideologie. Die Nationalsozialisten deuteten den Volkstrauertag zum „Heldengedenktag“ um und entkleideten ihn so seines kritischen, kriegsskeptischen, ja: im Kern anti-militaristischen Charakters.
Die Folge dieser Umdeutung von Erinnerungen und Worten durch die Nazis ist bekannt: Das Bekenntnis „Nie wieder Krieg!“ verhallte, stattdessen wurden wieder Kampfrhetorik und Kriegskult gepflegt. Dem furchtbaren Ersten Weltkrieg, dessen Schrecken den Anstoß zum Volkstrauertag gegeben hatten, folgte der noch grausamere Zweite Weltkrieg.
Die Sowjetunion musste in diesem Krieg die größten Opfer bringen: 14 Millionen sowjetische Zivilisten starben und fast ebenso viele Soldaten der Roten Armee. Zu Beginn war der Zweite Weltkrieg ein Eroberungsfeldzug verblendeter Nationalisten; am Ende aber und in letzter Konsequenz vor allem ein Kampf gegen Faschismus und deutschen Größenwahn.
Hier in Baruth ehren wir heute die Opfer dieses Krieges gemeinsam: Die deutschen Soldaten, die für ein verbrecherisches Regime in den Tod geschickt wurden, ebenso wie die Soldaten aus Russland und den damaligen Sowjetrepubliken. Sie haben, zusammen mit zahllosen anderen Kämpfern aus Europa und der Welt, ihr Leben verloren, damit Europa vom Faschismus befreit werden konnte.
Es waren keine Helden, die auf den Schlachtfeldern starben. Es waren junge Männer und auch Frauen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen keine Wahl hatten.
Auch die zivilen Opfer, die Abermillionen Toten der europäischen Kriege und Gewaltregime im 20. Jahrhundert, waren keine Heldinnen und Helden. Sie wollten leben und mussten doch sterben, oftmals qualvoll.
Wenn wir ihrer heute gedenken, erinnern wir uns auch an die Ursachen von Krieg und Gewalt. So unterschiedlich sie auch sein können, am Anfang stehen doch immer: Verblendung und Verhetzung, Hybris und Hass. Ein erstes, recht sicheres Alarmzeichen für solchen Anfang einer schlimmen Entwicklung ist es, wenn Begriffe manipuliert und umgedeutet werden – willentlich und wissentlich, wie seinerzeit von den Nazis das Wort „Helden“. Der bösen Absicht, dem Missbrauch der Sprache folgen allzu oft böse Taten und großes Leid.

Anrede,
In diesem Jahr haben wir trotz Corona mehrfach an das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 75 Jahren erinnert. Auch so viele Jahrzehnte nach der größten Menschheitskatastrophe gibt es keinen wirklichen Frieden in der Welt. Im vergangenen Jahr zählten Friedensforscher 27 bewaffnete Konflikt, die meisten davon in Afrika, Asien und Nahost, aber auch in Südamerika – und selbst in Europa, in der Ukraine. Zuletzt ist nun im Kaukasus ein weiterer Konflikt wieder aufgeflammt, den viele gerne vergessen hatten.
Auch darum gilt es, die Erinnerung zu bewahren und wachsam zu sein: Kämpfe und Kriege fangen niemals plötzlich an, „aus heiterem Himmel“, wie es beschönigend heißt. Sie werden vorbereitet durch Aufhetzen und Ausgrenzen – in der Sprache, im täglichen Leben, in Gesellschaft und Politik.
Es liegt an uns allen, frühzeitig gegenzusteuern, der Manipulation und dem Missbrauch von Begriffen, Geschichten und Erzählungen entgegenzutreten. Wir sind es denjenigen schuldig, die in der Vergangenheit manipuliert und missbraucht wurden und an deren Gräbern wir heute stehen.

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Eröffnung des Europapolitischen Dialogs im Landtag Brandenburg, 12.11.2020

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,
sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer der Liveübertragung,

ich möchte Sie heute zu einer Premiere in unserem Plenarsaal begrüßen:
Wir erleben heute den ersten Europapolitischen Dialog im Landtag Brandenburg.
Ganz besonders freue ich mich, unsere Gäste begrüßen zu dürfen, die sich freundlicherweise bereiterklärt haben, einen Beitrag zu diesem Dialog zu leisten:

  • Herr Dr. Jörg Wojahn leitet die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland.
    Schon im Juni war er zu einem Besuch hier im Landtag und hat im Europa-Ausschuss das
    Arbeitsprogramm der Kommission vorgestellt;
  • Herr Dr. Mark Speich führt als Staatssekretär aus Nordrhein-Westfalen die deutsche Delegation im Europäischen Ausschuss der Regionen an, in dem auch die deutschen Bundesländer ihre Interessen im großen EU-Gefüge geltend machen können;
  • Und nicht zuletzt Herr Apostolos Tzitzikostas, Gouverneur der griechischen Provinz Zentralmakedonien und seit diesem Jahr Präsident des Ausschusses der Regionen.

Präsident Tzitzikostas wird uns gleich in einer Videobotschaft in das Thema dieses Dialogs einführen: die „Aktive Mitgestaltung der Zukunft Europas durch die Regionen“.
Schon in diesem Titel stecken, wie ich finde, wichtige Anregungen und Erwartungen an die Regionen dieses großen Kontinents:
Die deutschen Bundesländer und die französischen Departements, die Wojwodschaften in Polen wie die tschechischen Regionen, zudem Städte und Gemeinden aus allen Mitgliedstaaten der Union:
Sie alle sind direkt oder mittelbar betroffen von Entscheidungen, die auf europäischer Ebene fallen.
Vor allem aber betreffen diese Entscheidungen und Weichenstellungen die Menschen in den Regionen Europas, die für sie Heimat sind und zugleich die unmittelbare, oft wichtigste politische Bezugsgröße.
Ob es um Gesundheit oder Bildung geht, den sozialen Zusammenhalt oder technologische Innovation, um Fragen des Verkehrs, der Energieversorgung oder des Klimaschutzes:
Die Rechtssetzung durch die EU-Institutionen wirkt sich vor Ort aus, und sie soll den vielfältigen Verhältnissen auf lokaler und regionaler Ebene gerecht werden.
Mitsprache und Mitgestaltung sind deshalb ein legitimer Anspruch der Regionen, wenn es um die Zukunft Europas geht. Dass sie sich an der europapolitischen Diskussion aktiv beteiligen, dazu leistet der Landtag Brandenburg mit dem heutigen Dialog einen Beitrag.
Unser Bundesland liegt mitten in Europa, zwischen Ost und West, Nord und Süd.
Brandenburg hat diese zentrale Lage im Laufe seiner Geschichte genutzt, um vielfältige und gute Beziehungen zu seinen Nachbarn zu knüpfen. Wir haben immer auf Verbindungen und Verbindendes gesetzt und wissen, dass unsere Gegenwart wie unsere Zukunft in Europa liegt.
In diesem Bewusstsein setzt auch der Landtag Brandenburg auf eine weitere Vernetzung von Parlamenten und Regionalvertretungen innerhalb der Union. Mit mehr Austausch und Zusammenarbeit stärken wir zugleich die Demokratie in Europa.
Denn das Miteinander in der Gemeinschaft kann nicht allein von oben beschlossen und durchgesetzt werden, aus den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten oder in Brüssel. Die europäische Demokratie muss auch von unten wachsen, sonst gedeiht sie nicht.
Ohne Verwurzelung in den Regionen wäre Europa weniger transparent und am Ende weniger erfolgreich, als es möglich und angesichts der Weltlage auch dringend nötig ist.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich auf den Europapolitischen Dialog und gebe das Wort an den Präsidenten des Ausschusses der Regionen, Herrn Apostolos Tzitzikostas.

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Grußwort für die Festschrift zur Orgelweihe der Kirche in Schönefeld 31.10.2020

Die Orgel ist das Instrument mit dem längsten Atem der Welt, Mozart nannte sie die Königin der Instrumente, vielleicht weil sie mit ihrem außergewöhnlichen Klang Unendlichkeit hörbar macht. Die Orgel, Werk höchster Handwerkskunst, in dem sich Musik und Physik, Architektur und Mathematik treffen, gehört zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Kein anderes akustisches Instrument kann tiefere oder höhere Töne erzeugen, Einzelstimme und Orchester in einem sein und das gesamte Hörspektrum des Menschen abbilden. Jede Orgel wird erschaffen für den Raum, in dem sie erklingen soll, ist eine Persönlichkeit und ein Kunstwerk und berührt die Seele, das Herz und den Geist.
Was ist, wenn sie fehlt? Die Gemeinde der Schönefelder Dorfkirche hat das erlebt. 70Jahre lang hatte die Dorfkirche keine richtige Orgel. Als die Kirche nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde, fehlte das Geld. Ein Harmonium wurde angeschafft, später als Notbehelf die Orgeltruhe von Schuke aus dem Leipziger Gewandhaus. Aus der Idee, eine Orgel aus einer von Siebenbürger Sachsen verlassenen Kirche in Rumänien zu holen, konnte nichts werden. Aber die Gemeinde hat ihren Wunsch nach einer Orgel nicht aufgegeben.
Wie es gelungen ist, dass in der Schönefelder Kirche jetzt eine neue Orgel erklingt, ist eine eindrucksvolle Geschichte von Leidenschaft, Geduld, Engagement, von kreativen Ideen und davon, was möglich werden kann, wenn eine engagierte Gemeinschaft an einem gemeinsamen Ziel arbeitet. Fördermittel, Benefizkonzerte und persönliche Spenden von Freunden der Orgelmusik und Gemeindemitgliedern haben den Orgelneubau ermöglicht. Kantor Thomas Müller, Pfarrer Michael Frohnert, der Gemeindekirchenrat und die ganze Gemeinde haben ihr gemeinsames Vorhaben „Orgel“ unermüdlich und mit Zuversicht immer weiter vorangetrieben.
Sogar Klangpaten für Töne und Register wurden gewonnen. Auf der Internetseite konnte man die Spendenaktivitäten gut verfolgen. Dabei entsteht der Eindruck, als hätten die Gemeindemitglieder und Spender die Orgel Stück für Stück mitgebaut und zum Leben erweckt - von der Idee bis zum vollendeten Instrument.
Eine besondere Orgel sollte es sein und ist es auch geworden. Orgelbaumeister Kristian Wegscheider hat in enger Zusammenarbeit mit Kantor Thomas Müller eine akustische Barockorgel mit 16 Registern gebaut, genau auf den Kirchenraum abgestimmt, passend zur Entstehungszeit der Kirche und orientiert an historischen Vorbildern, mit alter Stimmung, die der Musik besonderen Glanz verleiht und wie bei Bachs Wohltemperiertem Klavier Tonarten schweben und Klangfarben leuchten lässt. Und da die Stimmung auch um einen Halbton angehoben oder gesenkt werden kann, ist die neue Orgel perfekt geeignet für Kammermusik mit historischen Instrumenten und auch für die Neue Musik. Ganz neue Möglichkeiten eröffnet die neue Orgel für die Musik in den Gottesdiensten und für Konzerte, wofür die Kirche Schönefeld schon lange eine gute Adresse ist. Ich möchte Kantor Thomas Müller, Pfarrer Michael Frohnert, dem Gemeinderat, allen engagierten Spenderinnen und Spendern und den
Freunden der Gemeinde und der Kirchenmusik herzlich gratulieren zu ihrer neuen Orgel. Ich wünsche ihnen allen viel Freude mit dem neuen wunderbaren Instrument. Und nach Ihren beispielgebenden kreativen Ideen zur Finanzierung der Orgel bin ich zuversichtlich, dass Sie auch Wege finden werden, damit die Orgelweihe bald stattfinden kann und auch die Konzerte mit Starorganist Toni Koopmann bald möglich werden.
Ihre
Prof. Ulrike Liedtke

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Grußwort 02.10.20 Psychotherapie MHB Fontane: Immatrikulationsfeier für Studierende

Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Schüle,
liebe Professoren Dr. Neugebauer, Dr. Deckert,
und Dr. Lindenmeyer,
verehrte Abgeordnete, Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Gäste,
und vor allem: liebe Studierende!

In Neuruppin wollen sie studieren an einem großen See mit viel Kultur rund um Fontane Bei liebenswerten und ein bisschen nordischen Menschen! Ich beglückwünsche Sie zu dieser Entscheidung!
Sie feiern heute einen wichtigen Abschnitt im Leben: Die Einschreibung an der Medizinischen Hochschule Brandenburg.
Ich kann mir gut vorstellen, was in Ihnen, den Erstsemestern, in diesem Moment vorgeht:
Ein bisschen Aufregung ist dabei, auch Stolz auf schon Erreichtes; vielleicht auch eine Spur Unsicherheit, was nun kommen mag und wohin dieser Schritt Sie führt.
Am stärksten aber ist die Vorfreude:

  • auf die Zeit des Studiums, dass ebenso anregend wie anstrengend ist – das wussten Sie vorher und haben sich für diesen Weg entschieden.
  • Es ist Vorfreude auf Seminare, Vorlesungen, Hausarbeiten, auch auf die praktischen Erfahrungen, die Sie an den Partner-Kliniken unter fachkundiger Anleitung sammeln können.
  • Theorie ist wichtig, aber was am Ende zählt, ist der Umgang mit den Menschen – das gilt ganz besonders für die Psychologie.

Liebe Studierende,
Die Medizinische Hochschule Theodor Fontane war am Anfang nur eine Idee, dann ein hervorragendes Konzept und nun gibt es sie und im nächsten Sommer gehen bereits die ersten fertigen Ärzte aus ihr hervor.
Das sind junge Mediziner, die wir in Brandenburg dringend brauchen.
Die Gründungsväter Brandenburgs haben zwei Dinge vergessen - die Medizinerausbildung und die Musikhochschule. Die Medizin haben wir jetzt.
Für Sie, liebe Studierende, hat das einen Vorteil: diese medizinische Hochschule Brandenburg wurde so hart erkämpft, dass sie inzwischen umso wertvoller geworden ist.
"Am Mute hängt der Erfolg.“ (Zitat von Fontane)
Die Gründer der MHB haben Mut bewiesen und Zielstrebigkeit:
die Verantwortlichen in Präsidium und Geschäftsführung, die Kooperationspartner in Krankenhäusern, auch die ersten Studierenden.
Das Land Brandenburg hat diesen Mut unterstützt, auch wenn es manche Hängepartien gab: Diese Unterstützung ist ungebrochen.
Die Zusammenarbeit mit der künftigen Medizin-Universität in Cottbus eröffnet neue Möglichkeiten, für die Lehre wie die Forschung.
Ihr Studium wird modern sein, fachübergreifend, praxis- und lebensnah.
Ziel dabei ist es, Absolventinnen und Absolventen „mit Herz, Hand und Hirn“ hervorzubringen – so steht es in den Grundsätzen Ihrer Hochschule. Dazu gehört auch ein ständiges Werden und Wachsen der Hochschule selbst, ein stetes Überprüfen scheinbarer Gewissheiten und alter Gewohnheiten.
Freuen Sie sich auf die Jahre hier in Neuruppin:
Die Stadt, die Region und das Land Brandenburg werden für Sie schnell ein Stück Heimat.
Genießen Sie ländliche Idylle, fahren Sie Fahrrad, lesen Sie nicht nur Fontane, bewundern Sie Schinkels Bauwerke und den Parzifal am See, hören Sie Möhrings Melodien und Neues.
Verlieben Sie sich In wen oder was auch immer. Und am besten ist es, wenn Sie als Arzt oder Ärztin bei uns bleiben.
Sie sehen, es gibt langfristige Ziele
Ich wünsche Ihnen von Herzen für das Studium und für Ihre Zukunft alles Gute,
vielen Dank!

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Zentrale Gedenkfeier zum 75. Jahrestag Ende Zweiter Weltkrieg, 25.09.2020

S.g. Herr MP
Damen und Herren Abgeordnete
Exzellenzen
Liebe Frau Ministerpräsidentin Schwesig
Lieber Herr Landrat Schmidt
Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger
liebe Gäste!

Wir finden uns hier zusammen im Bewusstsein unserer gemeinsamen Geschichte und in Dankbarkeit für die Befreiung vom Faschismus. Unendliches Leid brachten die NS-Diktatur und der Krieg über Europa, unzählige Menschen verloren ihr Leben – auch hier auf den Seelower Höhen. Daraus ist uns die fortwährende Verpflichtung erwachsen, für den Frieden und die Verständigung der Völker zu arbeiten. Das ist eine Aufgabe für alle: Regierungen, Institutionen, Gemeinschaften, für jeden einzelnen Menschen. Einander zuhören, die Positionen des Anderen respektieren und versuchen zu verstehen.

Friedensarbeit heißt verstehen, dass wir alle miteinander verbunden sind.

Einer der zutiefst verstanden hat, dass Frieden im Kopf und im Herzen des einzelnen Menschen beginnt, war Dmitri Schostakowitsch. Seine 7. Sinfonie, seiner Heimatstadt Leningrad gewidmet, setzte ein Zeichen der Hoffnung in dunkelster Stunde. Aus dem Grauen des Krieges heraus beschwört sie den Mut zum Widerstehen, zu Menschlichkeit. In diesem Geiste wollen wir die Verbundenheit mit allen europäischen Nachbarn lebendig halten, hüten und stärken, um gemeinsam für solidarische, gerechte, demokratische und freie Gesellschaften einzutreten.

Ein Foto von 1941 zeigt den Komponisten als Luftschutzwart auf dem Dach des Leningrader Konservatoriums, im Feuerwehranzug. Die ersten drei Sätze seiner 7. Sinfonie schrieb er während der Belagerung Leningrads, nur das Finale entstand in Kuybischew, wo die Sinfonie vom dorthin ausgelagerten Orchester des Bolschoi-Theaters uraufgeführt wurde. Während der nachfolgenden Moskauer Aufführung gab es Luftalarm, aber die Besucher blieben und wollten die Musik zu Ende hören. Es folgten Konzerte in London und New York, Schostakowitsch war ja berühmt, Staatskünstler und Dissident zugleich. Er wünschte sich die Leningrader in Leningrad und ein Sonderflugzeug durfte die Noten einfliegen.

Endlich, am 9. August 1942 erklang die Leningrader Sinfonie im noch immer belagerten Leningrad, übertragen von allen sowjetischen Rundfunksendern, selbst die Wehrmacht hörte zu, gespielt von nur noch 15 überlebenden, ausgemergelten und entkräfteten Musikern des ehemals bedeutenden Leningrader Radioorchesters, von zusammen gerufenen Musikern erweitert.

Vielleicht kann man gleich zu Beginn im bedrohlichen Rhythmus der kleinen Trommel die faschistische Invasion hören, auch das Lied „Jetzt geh ich ins Maxim“ aus Hitlers Lieblingsoperette „Die lustige Witwe“, zerstört in der Hölle des Krieges mit Gewehrsalven und Lärm. Danach gibt es berührende Innerlichkeit, subjektive Reflexion. Wie die Stimmen einzelner Menschen: verletzlich, in ständiger Gefahr, auch traumverloren, flüsternd, zart, voll Sehnsucht, Leben, Hoffnung, auch Tanz.

Starr stehen die Grabsteine der Toten im 3. Satz und Schmerz breitet sich fließend aus.

Am Ende Haltung. Nicht nur Krieg, Angst und Trauer sind Grundmotive dieser Musik, sondern Schostakowitschs tiefe Überzeugung, dass Humanität und Liebe zu den Menschen die Schaffensbasis aller Kunst ist. Ich finde, das gilt nicht nur für die Kunst, sondern für alle Bereiche des Lebens – auch für die Politik, für die Friedensarbeit, für Verständigung und Miteinander.

Ich freue mich sehr, jetzt mit Ihnen auf den Seelower Höhen Schostakowitschs Leningrader Sinfonie zu erleben. Und ich freue mich, dass wir ein so großes, wunderbares Brandenburger Staatsorchester Frankfurt haben, das sich unter Leitung von Generalmusikdirektor Jörg-Peter Weigle der Interpretation von Weltkulturerbe stellt, der Leningrader Sinfonie, und damit ein großes Stück Friedensarbeit leistet.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Vernissage zur Kunstausstellung „Werkschau Harald K. Schulze 2020“ am 26. August

Anreden
MdL,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Gäste,
Harald Schulze,
Michael Wiedemann (Kurator),

was für eine Bildsprache! Intensiv, schroff, provozierend, angstfrei, martialisch, ironisch, liebevoll, sensibel. Für jemanden wie mich, von der Musik kommend, erinnern mich Harald Schulzes Bilder an ein Credo der Neuen Musik: Schönheit als verweigerte Gewohnheit. Da klingt manches nach Ligeti, Schostakowitsch, Xenakis, Lachenmann oder Schnebel.
Mit altmeisterliche Malweisen werden in der Ausstellung Geschichten erzählt – Momentaufnahmen der helleren und dunkleren Seiten von Leben, von Körperlichkeit, Freude, Lust, aber auch von Gier und Gewalt.
Andere Bilder machen hochkomplexe und fein ironische Beobachtungen sichtbar - über Malerei und über berühmte Maler, und erscheinen als Verfremdungen der Bilder, die wir alle im Kopf haben, wie die wunderbare Conspiration-Party.
Überhaupt scheint Verfremdung ein wichtiges Prinzip der Arbeiten zu sein, ganz im Brechtschen Sinn wird hier Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellt – mal radikal und mal sanft, immer mit klarem Blick und frei von romantischer Verklärung.
Erst was nicht schön sein will, ist schön. Erst das Absichtslose ist schön, weil Schönheit eine Tochter der Freiheit ist, wie wir von Schiller gelernt haben und weil wir erst da ganz Menschen sind, wo wir spielen.
Denn nur im Spielerischen lernen wir unsere kreativen Kräfte kennen – bei der Bildbetrachtung, beim Musikhören, beim Nachdenken und bei der Suche nach Lösungen, Argumenten, Kompromissen in der Politik.
Die Bilder sind lesbar als feine vieldimensionale Chiffren für die Dinge der Kunst, für unsere ästhetische Wahrnehmung, sie geben Rätsel auf und stellen inspirierende Fragen, die nicht abschließend zu beantworten sind.
Das sind die besten Fragen. Diese Haltung von Verfremdung und Fragen macht die Kunst von Harald Schulze politisch.
Gute Kunst kann gar nicht anders sein, denn sie ist Seismograph für gesellschaftliche Beziehungen und Prozesse.
Unsere ästhetische Erfahrung zeigt uns jeden Tag, was Kunst bewirken kann, wenn wir uns auf sie einlassen. Das ist nicht elitär, sondern betrifft alle Menschen.

Kunst verändert immer etwas und wenn auch nur solange man ein Bild betrachtet, hinterlässt sie Spuren und verändert unsere Sichtweisen auf die Welt.
Kunst wirkt subtil, flüchtig, überraschend und auf lange Sicht auch nachhaltig. Dieses riesige Potential nutzen wir noch viel zu wenig, um Politik und Gesellschaft weiterzuentwickeln.
Wenn Kunst gut ist, dann hat sie und schafft sie Strukturen, ist stringenter, zielorientierter, zeitlicher als alles in ihrer Umgebung. Wenn Kunst gut ist, dann ist sie offen für neue Möglichkeiten. Deshalb braucht Politik den Dialog mit der Kunst. Ganz besonders hier im Landtag.
Deshalb freue ich mich, dass wir die Bilder hier im Landtag haben. Wir werden auf diese tolle Ausstellung aufmerksam machen und ich wünsche den Arbeiten eine große Resonanz und viele Besucher mit Lust am Schauen, Wahrnehmen und Fragen.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Verabschiedung von Heilgard Asmus, Generalsuperintendentin des Sprengels Potsdam am 23. 08.

Sehr geehrter, lieber Bischof Stäblein,
sehr geehrter Herr Hohn (Hoffbauer),
liebe Frau Superintendentin Zädow
liebe Mitglieder der Gemeinden,
liebe Gäste,
liebe Heilgard Asmus!

So feierlich, so zuversichtlich kann eine Entpflichtung sein, ein fremd und zugleich ernst klingendes Wort für die Verabschiedung aus dem kirchlichen Amt der Generalsuperintendentin.

Liebe Heilgard Asmus,
den bevorstehenden Übergang aus dem verantwortungsvollen Kirchenamt in eine neue Lebensphase kann ich mir bei Ihnen nicht anders vorstellen als ein weiterhin Mittendrin stehen in den Veränderungsprozessen der Gegenwart, mittendrin im Feld der drängenden Fragen nach Freiheit, Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten für eine lebenswerte Zukunft.

Für all das brauchen wir Zuversicht – die Sie so wunderbar ausstrahlen. Vielleicht haben Sie die, weil sich Seelsorge, direkt am einzelnen Menschen durch Ihr ganzes Leben zieht – anfangs in der St. Gotthardt Gemeinde, als Krankenhausseelsorgerin im Klinikum Brandenburg, in der Hospizarbeit.
Alles hat bei Ihnen miteinander zu tun,
keine Karriereleiter, sondern eine Verdichtung, Vertiefung, Intensivierung der Aufgaben.
Vielleicht auch, weil Sie sich Ihren Beruf erkämpft haben, auf dem Umweg der Berufsausbildung zum Theologiestudium in Jena. Und Sie sind sich und Ihrer Berufung treu geblieben, als Schwerter zu Pflugscharen werden sollten, als 1989 Schutz, Rat und Unterstützung der Kirche gefragt waren.
Menschen können ganze Gesellschaftssysteme verändern, auch wenn nicht alle mutig sind,
wenn sich langjährige Freunde vorsichtig zurückziehen, wenn unklar ist, wer kungelt und boshafte Berichte schreibt. Sie haben sich den aufrechten Gang nicht nehmen lassen und Tausende um Sie herum ebenso nicht,
aber so zuversichtliche, unbeirrbare Menschen wie Sie sind auch unter diesen Tausenden ganz wichtig.
Ich denke, dieses Verändernkönnen hin zur Demokratie ist eine sehr besondere Lebenserfahrung derjenigen, die 89, die Zeit davor und danach, bewusst und aktiv erlebt haben. Für mich waren es die spannendsten und irgendwie längsten, arbeitsreichsten Jahre. Damit hört man nicht einfach auf.
Als langjährige Vorsitzende vom Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben Sie immer wieder Menschen ermutigt zu Demokratie, zu fairem Streit, für ein Tolerantes Brandenburg.

Wieviel Politik gehört in die Kirche?
Wer dem Volk „aufs Maul schaut“, findet die Antwort.
Das tun Sie. liebe Frau Asmus, mit einer Zugewandtheit, die mehr über den anderen weiß als er selbst vielleicht. Auch deshalb waren Sie bestimmt eine gute Lehrerin und Leiterin im Pastoralkolleg der EKBO, deshalb wurden Sie in das hohe Amt der Generalsuperintendentin gewählt.

Ich erinnere mich gut an unsere erste Begegnung kurz nach meiner Wahl als Landtagspräsidentin. Sie stellten Fragen, auf die ich Lust hatte zu antworten. Das Zuhören und Fragen-können – eine Gabe, / auch langjährige Übung, / auf jeden Fall eine Haltung, die es möglich macht, wirklich miteinander zu sprechen, etwas miteinander zu teilen. Ich dachte: das ist eine richtige Seelsorgerin. Eine, die wahrnimmt, was in anderen vorgeht, die wirklich anwesend ist und einen Raum schaffen kann für Vertrauen, Austausch, Ermutigung.

Das brauchen wir gerade,
in der Zeit einer Pandemie, gar nicht politisch verursacht / sondern einfach da, ein Angriff auf unsere vermeintliche Stärke, Sicherheit und Unverletzlichkeit. / Die Folgen sind so nicht gekannte Existenzangst, Kurzarbeit,  Visionslosigkeit. In der Familie rutschen feste Regeln, Zeiten und Aufgaben durcheinander, Schulen und Kitas verlieren an Verlässlichkeit, auch Besuche bei Großeltern, Terminabsprachen, Buspläne, Konzertkarten.
Distanz als Notwendigkeit,  körperlich, nicht aber sozial.

Jetzt brauchen wir
Zuversicht, Gemeinschaft, brauchen wir Gemeinde.
Diese Zuversicht, die aus Vertrauen wächst, aus Herzenswärme und Mut, haben Sie in unser gesellschaftliches Leben gebracht, in unsere gesellschaftliche Öffentlichkeit getragen, in die Kirche, auf den Marktplatz, ins Parlament, in den Gottesdienst, in politische Diskussionen, in seelsorgerische Gespräche.
Sie haben Vieles bewegt in den letzten 10 Jahren ihrer Amtszeit – für eine selbstbewusste, öffentliche, einladende evangelische Kirche. Die Bürgergemeinde und die christliche Gemeinde als Einheit gestalten, das hatten Sie sich vorgenommen. Heute sehen wir in vielen Brandenburger Gemeinden, wie das wirklich gelingen kann: Mit Zuhören und Aufeinander zugehen, mit dem Aushalten von Zweifeln und unterschiedlichen Perspektiven, mit Dialog und Verständigung. Aus all dem wächst Zuversicht, die aus dem Herzen kommt und aus dem Glauben – in der Kirche und in unserer Gesellschaft. Dafür möchte ich Ihnen Danke sagen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit, Zeit für Neues, Zeit für Menschen, Zeit für die Dinge, die Sie schon immer gern tun wollten, Zeit für die Anderen und für sich selbst – und fast ganz ohne Bürokratie. Zeit für das, was Ihnen wichtig ist.

Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Verleihung der Medaille des Landtages Brandenburg zur Anerkennung von Verdiensten für das Gemeinwesen am 21. August 2020

Sehr geehrte Abgeordnete,
sehr geehrte Frau Wiescholek,
sehr geehrte Gäste,
liebe zu Ehrende,
ich freue mich, Sie alle im Landtag Brandenburg zu begrüßen. Schön, dass Sie da sind. Herzlichen Dank an Wenzel Ben für die gelungene virtuose Einstimmung.
Heute ist ein besonderer Tag, ein feierlicher Moment hier im Plenarsaal -  für Sie, aber auch für mich und für meine Abgeordnetenkolleginnen und Kollegen, die gleich die Laudationes halten werden. Heute werden Sie mit der Verdienstmedaille des Landtages Brandenburg ausgezeichnet. Ich darf diese hohe Ehrung im Namen des Parlaments vornehmen. Für mich ist das eine große Freude. Denn mit der Medaille des Landtages würdigt das Parlament Ihre besonderen Verdienste, Ihre herausragenden Leistungen für das Gemeinwohl – und das meint nicht weniger als alles, was für das Zusammenleben, für den Zusammenhalt in unserem Land wichtig ist, alles, was notwendig ist und unverzichtbar – damit wir in Brandenburg gut, sicher und frei leben können, damit alle ihre Chancen nutzen können und soziale Gerechtigkeit überall im Land jeden Tag ein wenig mehr verwirklicht wird. Und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Sie mit Ihrem bürgerschaftlichen Engagement, mit Ihrem Ehrenamt an diesem hohen gesellschaftlichen Ziel aktiv und wirkungsvoll mitarbeiten. Das ist das Besondere, das Sie geleistet haben und das wir heute würdigen und feiern wollen.
Bürgerschaftliches Engagement, Arbeit für das Gemeinwohl bringt viel in Bewegung in Brandenburg, bringt Neues ein, dort wo etwas fehlt, - z. B. Nachwuchs für die Feuerwehr, einen Dorftreffpunkt im alten Konsum, ein Elektroauto, das jeder im Dorf nutzen kann. Bürgerschaftliches Engagement bringt Freundlichkeit und Wärme in das Zusammenleben, wenn Menschen füreinander da sind und z. B. dafür sorgen, dass niemand sein Dorf verlassen muss, wenn er alt ist.
Für dieses besondere Engagement werden Sie heute ausgezeichnet. Und auch dafür, dass Sie mit Ihrer Freude am Ehrenamt andere Menschen zum Mitmachen gewinnen, dafür, dass Sie mit kreativen Ideen frischen Wind ins Dorf bringen oder in die Stadt und etwas im Zusammenleben besser, sicherer, schöner machen. Dieses Engagement bedeutet uns sehr viel in Brandenburg. Wir Abgeordneten wollen uns heute bei Ihnen dafür bedanken.
Wir wollen Dank sagen für das, was Sie für unser Land Brandenburg leisten – die meisten von Ihnen schon seit vielen Jahren.
Sie haben unser junges Land Brandenburg mit aufgebaut. Und wenn wir in diesem Jahr in Brandenburg und in ganz Deutschland 30 Jahre Deutsche Einheit feiern, dann können wir in unserem jungen Land Brandenburg bereits sagen: es gibt eine Brandenburger Identität. Weltoffenheit, Demokratie, Toleranz, ehrenamtliches Engagement, starke Universitäten und Unternehmen, internationale Spitzenforschung, unser Tolerantes Brandenburg, unsere sorbisch-wendische Kultur, das Potsdamer Weltkulturerbe, lebendige Dörfer und lebenswerte Städte – all das und noch viel mehr steht für unsere Brandenburger Identität, die noch jung ist und noch im Werden, die uns in Brandenburg ausmacht, die uns verbindet mit unseren europäischen Nachbarn und Freunden und mit der Welt.  Diese Brandenburger Identität haben Sie, liebe zu Ehrende auf ganz besondere Weise mitgeprägt.
Menschen wie Sie, die sich mit dem Ehrenamt für ein öffentliches Leben entscheiden, die sich einbringen mit ihren Ideen, ihrem Engagement, die bereit sind, für ein gutes Miteinander auch einmal zu streiten -  sie sind es, die eine lebendige Gesellschaft gestalten. Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, mit mutigen und klugen Zukunftsentwürfen auf die großen Veränderungen zu antworten, vor denen wir stehen -  wie den Klimawandel, die Digitalisierung, den Umgang mit der Pandemie. Eine lebendige Gesellschaft ist eine, in der Menschen diese tiefgreifenden Transformationsprozesse nicht erleiden, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen und Veränderungen bewusst gestalten. Das wird überhaupt erst möglich durch eine aktive, bunte und kreative Zivilgesellschaft, wenn Bürgerinnen und Bürger bereit sind, öffentliche Ämter zu übernehmen, sich für Andere einzusetzen und auch dafür zu sorgen, dass Menschen in Sicherheit leben können und in schwierigen Lebenssituationen Unterstützung finden.
Sie, liebe zu Ehrende, gestalten diese lebendige Gesellschaft an verantwortlicher Stelle mit. Was wären wir ohne Sie in Brandenburg? Vielleicht haben Sie manchmal den Eindruck, dass Ihr großes Engagement noch nicht die öffentliche Anerkennung und noch nicht die Unterstützung findet, die es eigentlich verdient. Ich denke, hier können wir in der Politik noch besser werden. Deshalb möchte ich Ihnen heute danken für das Kostbare und Ermutigende, das jeder von Ihnen in unser Gemeinwesen einbringt. Ich möchte Ihnen Dank sagen für Ihre Zeit, Ihre Kraft, Ihre Ideen und Ihre Empathie. Und ich möchte Sie bitten, weiterzumachen mit Ihrem Engagement und uns Abgeordneten auch gern zu sagen, wie wir Sie noch besser unterstützen können. Wir werden zuhören – nicht nur heute Nachmittag, sondern jeden Tag – in unseren Wahlkreisen und im Parlament. Vielen Dank!

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Rede zum Parität-Gesetz im Verfassungsgericht am 20. August 2020

Manchmal ist die Lebenswirklichkeit schon weiter als die Politik, selbstbewusster, mutiger, zukunftsorientiert.
Mädchen erobern sich Männerberufe, ganz frei in ihrer Wahl, Kindergärtner stehen hoch im Kurs, Berufsbezeichnungen sind längst männlich und weiblich, überall wird heftig gegendert, Väter nehmen das Babyjahr, Töchter engagieren sich in Sprecherfunktionen gegen die Klimakrise, familiäre Entscheidungen werden gemeinsam oder im geteilten Sorgerecht getroffen. Entscheidungen von Mann und Frau, Frau und Mann, längst in den Köpfen,
gesetzlich verankerte Gleichberechtigung.
So gesehen formuliert das Paritätsgesetz eigentlich Selbstverständliches, so gesehen ist es überfällig.

Und doch hat sich der Landtag Brandenburg die Entscheidung über eine angemessene Vertretung von Frauen wie Männern im Parlament nicht leichtgemacht.
Dem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss vom 31. Januar 2019 gingen intensive Beratungen im Plenum wie in den Ausschüssen, in Fraktionen und Arbeitskreisen voraus. Dabei wurde nach Möglichkeiten gesucht, das Ziel einer stärkeren Repräsentanz von Frauen im Landtag zu erreichen und zugleich politische oder rechtliche Probleme zu vermeiden. Der Parlamentarische Beratungsdienst schrieb Rechtsgutachten, die Landesregierung hatte einen Bericht dazu vorzulegen, wie durch Änderung des Wahlrechts der Weg von Frauen in die Politik gefördert und deren politische Position gestärkt werden könnte. Allen Parlamentariern war klar, dass Fragen zur Freiheit und Gleichheit bei Wahlen, zur Zusammensetzung des Parlaments, zur Organisationsfreiheit von Parteien mit größter Sensibilität für das Zulässige und Machbare zu behandeln sind. Auch deshalb wurden Vorschläge zur Parität bei Direktmandaten verworfen.

Es geht heute um die jeweilige Kandidatenliste einer Partei für den Landtag unter Berücksichtigung abwechselnden Geschlechter. Es geht um Entscheidungen, die gemeinsam zu treffen sind, von Männern und Frauen, von Frauen und Männern, es geht um politische Steuerung. Solange Frauen durchschnittlich 20 Prozent weniger als Männer verdienen, dafür aber 50 Prozent mehr an unbezahlter Arbeit in Familie und Haushalt leisten als Männer, solange Frauen durchschnittlich 40 Prozent weniger Rente beziehen als Männer und 90 Prozent der von Armut gefährdeten Alleinerziehenden ausmachen, solange Frauen - gut ausgebildet - in den Führungspositionen fehlen - solange besteht eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit der Unterstützung von Frauen als Zukunftsfrage nicht nur für Brandenburg, sondern für das ganze Land.
Die effektive Einflussnahme des Volkes auf die repräsentative Demokratie und auf den Staat ist erst dann gesichert, wenn sie im vollen Umfang und uneingeschränkt auch von Frauen wahrgenommen wird.  Wenn die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, ist die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen ein demokratisches Gebot.
Das heißt: Ohne Geschlechterparität bleibt die Demokratie unvollendet.

Sie alle kennen natürlich den Artikel 3 Abs.2 des Grundgesetzes:
“Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

In der Landesverfassung Brandenburg Artikel 12 Abs. 3 geht diese Festlegung noch weiter:
„Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das Land ist verpflichtet, für die Gleichstellung von Frau und Mann in Beruf, öffentlichem Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame Maßnahmen zu sorgen.“

An uns Politiker ergeht hier ein ausdrücklicher Auftrag, eine Verpflichtung, die urdemokratische Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen. Wir treffen im Landtag Brandenburg politische Richtungsentscheidungen, der Landtag braucht den politischen Einfluss von Frauen, ihre Perspektive, ihre Interessen und Erfahrungen.  Die anhaltende Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten macht eine strukturelle Benachteiligung von Frauen deutlich.
Gleichberechtigung aller Geschlechter gehört - wie soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Selbstbestimmung - zu den Grundvoraussetzungen einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft.
*********
Auch wenn ich schon viele Reden geschrieben und gehalten habe, erscheint mir dieser Moment bewegend, irgendwie historisch und zugleich zukunftsweisend.
In den letzten 30 Jahren, in meinem politischen Leben, war ich als Frau fast immer in der Minderheit politischer Gremien, nicht selten sogar die einzige Frau am Tisch, manchmal unbequem, wenn ich übergangen wurde und nur große Männer einander zu hörten. Viel beschäftigt war ich immer. Bloß nicht zugeben, dass es viel war, fleißig, nutzbringend.  Wenn ich fehlte, erhielt ich später die Rückmeldung, die Sitzung wäre mit mir anders verlaufen. Einfacher, mehr zielgerichtet, wesentlich kürzer, auch freundlicher, stilvoller sogar. Ähnliches habe ich auch von anderen Frauen erfahren.  Das Sitzungsklima änderte sich zum Positiven für alle, wenn weitere Frauen dazu kamen. Männer und Frauen gehören halt auch in Versammlungen zusammen.
Meiner Beobachtung zufolge hat sich die Rolle der Frauen in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Das sage ich als Ostfrau, die Emanzipation nicht brauchte, weil sie sich selbst als emanzipiert verstand und die jetzt gerade überall Mut macht, wo ein weltweites Virus die Familienpflichten zulasten der Frauen durcheinanderbringt. Nur nicht nachlassen, home office geht auch mit Kindern, weiter studieren, übergangsweise woanders arbeiten – und unbedingt  - bitte – einmischen, mitmischen, mittenmang.

Was wäre, wenn?
Hätte bei der Landtagswahl 2019 bereits das Paritätsgesetz gegolten, wären also alle Landeslisten paritätisch besetzt gewesen, dann wären – bei genau den gleichen Ergebnissen im Land wie auch in den Wahlkreisen – sechs Frauen mehr in den Landtag gekommen. Statt nur 28 wären also 34 weibliche Abgeordnete im September 2019 ins Parlament eingezogen, mit den Nachrückerinnen wären es heute 36 Frauen von insgesamt 88 Abgeordneten.
Die Frauenquote läge demnach bei 41 Prozent statt bei 34 Prozent wie derzeit. Das wären dann auch mehr als in der vergangenen Wahlperiode (37,5 Prozent).

Das Beispiel zeigt:
Auch vorsichtige Schritte haben große Wirkung. Es ist nicht nötig, das gesamte Wahlrecht zu ändern – die paritätische Aufstellung aller Landeslisten, wie sie das neue Recht für die nächste Landtagswahl 2024 vorsieht, kann den Frauenanteil bereits deutlich erhöhen. Und zwar ganz unabhängig von der Verteilung der Direktmandate, von denen ja auch etliche durch Frauen errungen wurden. Und - die nächste Wahl ist noch lange hin, also: heute schon Frauen aktivieren.
 
Das Paritätsgesetz wird weitreichende Folgen des UMDENKENS mit sich bringen, um Frauen den Weg zur politischen Macht zu ermöglichen. Wie kann es sein, dass wichtige Versammlungen gerade dann stattfinden, wenn Kinder Abendbrot bekommen oder ins Bett gebracht werden müssen, dass sie viel zu lange dauern, weil jeder alles noch mal sagen muss, Selbstdarstellung, oft an unfreundlichen Orten, weite Wege statt Zoom wo es sinnvoll ist, eingefahrene Rituale eben. Das schreckt ab.  Mehr als hundert Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts, auch ein anfangs umstrittenes Gesetz, wie es auch 1948/49 im Parlamentarischen Rat der Gleichberechtigungssatz war.
Wir haben schon genug Zeit verschlafen!
Jetzt brauchen wir dieses Paritätsgesetz, das dafür sorgen soll, dass mehr Frauen in den Parlamenten vertreten sind. Wenn wir in der Politik bürgernah, glaubwürdig und offen für Neues sein wollen, müssen wir auch mutig sein! Wer niemals bestehende Regularien durchbricht, wird nichts verändern, nicht das Leben lebenswerter machen und in die Zukunft schauen können.
Der Gesetzgeber hat diese Gestaltungsspielräume. Der Beschluss des Paritätsgesetzes im Landtag Brandenburg war mutig. Jetzt ist UMDENKEN angesagt, mit vielen zivilgesellschaftlichen Auswirkungen.

Brandenburg lenkt gerade die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, nicht durch Sensation oder außergewöhnlichen Reichtum, sondern durch ein Paritätsgesetz, ein kleiner Schubser für große Umbrüche im komplexen Prozess der Wechselwirkungen zwischen Politik und Gesellschaft. Die gesellschaftliche Akzeptanz dieses Gesetzes ist jetzt schon größer als viele mutige Politikerinnen und Politiker beim Beschluss vor anderthalb Jahren glaubten.
Das ist nicht verwunderlich, gibt es doch Paritäts-Regelungen in Wahlgesetzen bereits in vielen europäischen Ländern, so in Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Polen und Slowenien. Mit unserer Regelung in Brandenburg stehen wir nicht allein.

Deshalb halte ich es für richtig und vertretbar, dass der Landtag durch eine maßvolle und wohl abgewogene Anpassung des Gesetzes dazu beiträgt, den Frauenanteil unter den Abgeordneten zu erhöhen.
Wir wollen den Worten und den Vorgaben von Grundgesetz und Landesverfassung Taten folgen lassen.
Wir wollen, dass Frauen und Männer nicht nur rechtlich, sondern ganz praktisch gleichen Einfluss auf die Geschicke und Gesetze unseres Landes haben.
Darum geht es beim Paritätsgesetz: Um die tatsächliche Annäherung an ein Ziel, das gesellschaftlich und politisch längst akzeptiert und unbestritten ist.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Rede zur Veranstaltung zum Mauerbau, Gedenkstätte am Adam-Kuckhoff-Platz, Kleinmachnow am 13. August 2020

Der 13. August 1961 war ein Sonntag, in Berlin - leicht bewölkt mit etwas Regen

Anreden
Ministerpräsident,
MdL,
Bürgermeister Michael Grubert,
Bezirksbürgermeisterin Christin Richter-Kotowski
Gemeindvertreterinnen und Gemeindevertreter,
Kleinmachnowerinnen und Kleinmachnower,
Zehlendorferinnen und Zehlendorfer,
Gäste,

An diesem Sonntag, heute vor 59 Jahren begann der Bau der Mauer, mitten durch Berlin, mitten durch Deutschland. Schon in der Nacht zuvor waren Polizei und Kampfgruppen am Brandenburger Tor aufgezogen.
Schon wenige Stunden später trennten Stacheldrahtsperren Berlin in Ost und West.
Straßenpflaster und Bahngleise wurden aufgerissen.
Entsetzte Menschen auf beiden Seiten der Grenze, verzweifelt, sprachlos.
Plötzlich waren sie getrennt - Familien, Freundschaften, Liebespaare.
56.000 Berliner, die im Osten wohnten und im Westteil der Stadt arbeiteten verloren ihre Existenz, Träume und Hoffnungen wurden zerstört.
Die DDR zeigte sich unverhüllt als das, was sie war – als Diktatur, als ein Staat, der seine Bürger einsperrte und Fluchtversuche mit dem Tod bestrafte.
Am 13. August gedenken wir der Menschen, die auf der Flucht aus der DDR ums Leben gekommen sind.
Sie hatten der SED-Diktatur ihre Zustimmung verweigert, wollten ihre Lebens-wirklichkeit mit Indoktrination, Überwachung und dramatischen Versorgungs-problemen hinter sich lassen.
Sie waren auf der Suche nach Freiheit und einem besseren Leben. Sie hatten den Weg über den Todesstreifen auf sich genommen. Trotz Stacheldraht, Minen und Schließbefehl.
Menschen versuchten immer wieder, die Mauer zu überwinden. Die meisten von Ihnen waren jung, zuletzt der 21jährige Chris Gueffroy, der am 5. Februar 1989 erschossen wurde.
Auf dem Mauerweg werden die Geschichten der Opfer vergegenwärtigt.
Wie machtvoll muss das Gefühl von Aussichtslosigkeit gewesen sein, wie groß die Sehnsucht nach Freiheit.
Ein Deutschland ohne Mauer, ohne lebensgefährliche Grenze zwischen Ost und West – damals
unvorstellbar!
Fast bis zum 9. November 1989:
Wohl jeder, der im Osten aufgewachsen ist, wird diesen Abend nie vergessen.
Die Fröhlichkeit
Ausgelassenheit
Und Neugier,
ob die Welt auf der anderen Seite tatsächlich weitergeht.
Die Grenze war offen, ach was: endlich gehörten wir zur ganzen Welt! Jubel, ein Fest der Freude,
der Freiheit und der Dankbarkeit.
Auch heute haben wir allen Grund zur Dankbarkeit an die friedlichen Revolutionäre. Dankbarkeit dafür, dass keine Schüsse mehr fielen. Dankbar für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte.
Dankbar für ein Ende staatlicher Willkür, Staatssicherheit, Wahlfälschung, Einparteienherrschaft,
Ideologisierung von Bildung. Alles veränderte sich.
Die Menschen im Osten haben alles verändert. Nicht nur in der DDR und nicht erst 1989: Die polnische Solidarnocz hatte schon 1980 Mut zu freien Gewerkschaften gemacht.
Im Dezember 1982 fanden die ersten Friedensgebete in Leipzig montags in der Nikolaikirche statt.
Am 6. August 1985 vereinbarte Michail Gorbatschow den Teststopp mit Kernwaffen.
Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) wurden zu Schlagworten. In der Nacht vom 10. zum 11. September 1989 öffnete Ungarn seine Grenze.
Einen Monat vor dem Fall der Mauer, am 9. Oktober 1989, standen 70.000 Leipziger auf dem Ring und es blieb friedlich.
Nach Leipzig gingen die Menschen in allen ostdeutschen Städten auf die Straße, die meisten am 4. November in Berlin.
Jetzt gab es kein Zurück mehr zur Diktatur. Dass die Öffnung der Grenze auf einem Zettel für eine Pressekonferenz stand, hat den Prozess nur beschleunigt.
In der Friedlichen Revolution 1989 haben wir erlebt, wie Mut wächst, wenn man zusammenhält und füreinander einsteht.
Wir haben die Kraft gespürt, die daraus entstehen kann.
Wir stritten um Zukunftspläne, übernahmen Ämter und Verantwortung.
Wir haben erfahren, dass man Gesellschaft verändern kann.
Was könnte heute alles möglich werden für eine menschenfreundliche, freie und demokratische
Gesellschaft?
Woher haben wir damals die Kraft genommen?
Was hat uns fähig gemacht zur Veränderung?
Und: Was davon können wir heute nutzen? Ich denke: Sehr viel!
Die Erinnerung an die Menschen, die ihre Sehnsucht nach Freiheit mit dem Leben bezahlen mussten UND die Erinnerung an die überwältigende Erfahrung, die Mauer zu Fall zu bringen und Freiheit und Demokratie zu ermöglichen, zu erkämpfen, bilden für uns heute ein machtvolles
Zukunftspotential.
Gerade in einer Zeit, da wir noch immer oder immer wieder für Demokratie, Freiheit, Weltoffenheit und ein Europa ohne Grenzen streiten müssen.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Demonstration gegen die NPD in Rheinsberg 28.07.20

Liebe Rheinsbergerinnen und Rheinsberger,
liebe Gäste der Stadt,
Lieber Landrat Ralf Reinhardt,
Dr. Lemmermeier, Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg,
Angelika Thiel-Vigh und Tolerantes Brandenburg!

Ich habe gedacht, Kundgebungen wie heute brauchen wir nicht in unserem schönen Rheinsberg.

Aber wenn die Demokratie infrage gestellt wird, Rechtstaatlichkeit infrage gestellt wird, müssen
wir uns treffen, unsere Verfassung und unsere Grundrechte verteidigen.

Es ist einfach schäbig von der verfassungsfeindlichen NPD, die Massenschlägereien der letzten
Woche hier in Rheinsberg politisch ausnutzen zu wollen.

Polizeiliche Ermittlungen werden die Hintergründe der Ausschreitungen in Rheinsberg klären.

Wenn die Ursachen dieser blinden Wut zutage treten, können Polizei und Justiz darauf reagieren.

Menschenverachtung und Gewalt gehören nicht in unsere Demokratie. Aber klar ist auch, dass es
Demokratie nicht zum Nulltarif gibt, dass wir täglich danach fragen müssen, wie wir unsere freie
Gesellschaft vor dem Gift faschistischer Ideologien und Rechtsextremismus schützen können und
wie wir in Zukunft miteinander leben wollen.

Im Koalitionsvertrag der Landesregierung Brandenburg steht:
„Das deutliche und öffentliche Eintreten für ein friedliches Miteinander ist notwendiger denn je.
Ausdrückliches Ziel der Koalition ist es, den demokratischen Zusammenhalt und demokratische
Aushandlungsprozesse zu stärken.“

Und etwas weiter
„Brandenburg ist ein weltoffenes, vielfältiges und tolerantes Land mit einer langen Geschichte
der Integration von Menschen verschiedener Herkunft und Religion. Die gelingende Integration
von Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten hat für die Koalition hohe Priorität, um den
Betroffenen schnell soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.

Erfolgreiche Integration und Teilhabe setzen voraus, dass alle Personen die unveräußerlichen
Grundprinzipien und -werte der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie, der Würde des Menschen,
der Freiheit der Person und der Religion, der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen
sowie des Rechts jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben
achten.“

Das heißt auch:
Klärung der Bleibeperspektive, Deutschunterricht, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeit,
Integration und nicht Leben in Parallelgesellschaften.

Es heißt Sicherheit für alle Menschen, Schutz vor Kriminalität und Vertrauen in den Rechtsstaat,
Vertrauen, dass kriminelle Delikte geahndet werden, dass es Strafen für diejenigen gibt, die sich
nicht an die Regeln halten.

Dabei dürfen wir nicht ignorieren, dass unsere Integration Lücken hat, klare Entscheidungen und
Perspektiven für alle braucht, vorurteilsfreie Zugewandtheit, dass sie Zeit braucht, vielleicht
sogar Generationen.

Treten wir ein für ein friedliches Miteinander. Lassen wir nicht zu, dass Rheinsberg für
Negativschlagzeilen sorgt und Besucher vertreibt.

Denn: „Rheinsberg ist schön“.
Und das stimmt.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Erinnerung an den 17. Juni 1953

Heute vor 67 Jahren,
am 17. Juni 1953, gingen rund eine Million mutige Frauen und Männer mit ihren Forderungen nach Freiheit und Demokratie, nach freien Wahlen und einem vereinten Deutschland auf die Straße.
Nicht nur in Berlin, sondern an 700 Orten der DDR gab es Generalstreik und Demonstrationen bis sowjetische Panzer und Soldaten die Kundgebungen beendeten.
55 Menschen wurden getötet, Hunderte schwer verletzt, 1.526 angeklagt und meistens zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Diktatur hatte den Volksaufstand niedergeschlagen.
Aber: Über die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit hatte sie keine Macht.
Der Freiheitswille lässt sich nicht brechen.  

Nicht im Volksaufstand 1956 in Ungarn, auch nicht 1968 in Prag, als Kampftruppen aus der Sowjetunion, Bulgarien, Ungarn und Polen mit Gewalt die reformkommunistische Bewegung des "Prager Frühlings" in der damaligen CSSR niedergeschlagen hatten.

Es sollte noch 36 Jahre dauern, bis die Menschen im ehemaligen Ostblock mit ihren überwiegend friedlichen Revolutionen die kommunistischen Diktaturen überwunden und Freiheit und Demokratie erkämpft hatten. Ein langer Weg, der in Deutschland mit dem Volksaufstand am 17. Juni begonnen hatte.

Die Erinnerung an diesen historischen Tag in der deutschen Geschichte bringt uns heute ins Bewusstsein, was es bedeutet, in einer freien demokratischen Gesellschaft zu leben – zugewandt, weltoffen, tolerant, mit der Chance auf gesellschaftliche Teilhabe für alle.
Ohne Rassismus, ohne Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung.

Der 17. Juni macht uns bewusst, dass es sich für Freiheit und Demokratie zu kämpfen lohnt.
Auch heute noch. Weil Demokratie, nachdem sie einmal erkämpft ist, nicht einfach von selber bleibt. Dafür ist unser politisches und gesellschaftliches Handeln gefordert. Weil Freiheit und Verantwortung zusammengehören, müssen wir unsere Demokratie streitbar und lebendig gestalten.
Um sie zu bewahren.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Gedenken an den 8. Mai Nikolaikirche Potsdam


Sehr geehrte Frau Generalsuperintendentin,
liebe Frau Asmus,
sehr geehrte Frau Superintendentin,
liebe Frau Zädow,
liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,
liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger,


Dieser 75. Jahrestag der Befreiung – mitten in einer Viruspandemie, die jeden von uns auf eigene
Weise sensibilisiert - bringt auch neue und ermutigende Formen des Gedenkens hervor.

Wir stehen jetzt in dieser Stunde auf den Treppen der Nikolaikirche.

Am Tag der Befreiung, vor 75 Jahren, gab es diese Stufen nicht mehr.

Die Nikolaikirche war zerstört. Potsdam war zerstört. Ganz Brandenburg war ein Schlachtfeld.

Leid und Tod – in den Lagern, auf Todesmärschen, in den Dörfern und Städten. In Polen und in
den Ländern der Sowjetunion, in Frankreich wie an vielen Orten in Europa. In Deutschland.
Bilder von Schmerz, Angst vor Tod und Vernichtung, Trauer, die nie mehr aus dem Kopf gehen,
Verletzungen der Seele, Traumata. Sprachlosigkeit, sogar in der eigenen Familie.

75 Jahre, das ist lange. Aber wir kennen die Orte, neu bebaut, gerade im Frühling herrlich grün.

Seelower Höhen, Halbe, Kienitz, Sachsenhausen, Ravensbrück, Belower Wald. Wir fahren mit
dem Auto vorbei, sehen eindrucksvolle filmische Dokumentationen mit Zeitzeugen und verstehen
nicht, was geschehen ist, weil es nicht zu verstehen ist.

Gerade deshalb kommt dialogischer Bildungsarbeit eine besondere Verantwortung zu – eine
integrative und europäische friedensfördernde Erinnerungskultur, die alle einbezieht - und auch
heutige Kriegsorte, Flucht- und Gewalterfahrung berücksichtigt.

Wir brauchen ein „Forum Erinnerungskultur“, das Geschichte in ihren Schichten untersucht,
vielschichtig, mit der Entwicklung neuer Strategien von Gedenken und Vergegenwärtigung.

Wir brauchen eine Sprache für die Erfahrungen der Nachkommen von Opfern und Tätern, um in
immer tiefere Schichten der Erinnerung vorzudringen, in denen der Krieg, das Leid, die Verluste
und das menschenverachtende System der Nationalsozialisten psychosoziale Spuren bei
heutigen Generationen hinterlassen haben. Das sind Spuren, die weiterwirken, mit denen wir
leben und uns auseinandersetzen müssen.

„Dass er Friede zusagte seinem Volk ...“ heißt es im Psalm 85. Was für eine Verheißung.
Hoffnung.

Jedes Jahr am 8. Mai, dem Tag der Befreiung durch sowjetische Soldaten, rufen wir uns ins
Bewusstsein, was das Ende des Krieges und die Chance auf Frieden für uns in Deutschland
bedeutet.

Endlich Frieden. Für viele Menschen damals kaum noch vorstellbar, dass der Alptraum dieses
Krieges ein Ende nehmen würde. Für die Älteren heute starke Erinnerung an einen neuen Anfang,
auch Scham. Für die Jüngeren historisches Ereignis, vergilbte Fotos, Schulstoff,
Lebensgeschichten. Frieden als Selbstverständlichkeit. Gerechtigkeit als Ziel.

Aber der Frieden braucht unseren Schutz. Frieden bedeutet Verantwortung. Wir müssen
Friedensarbeit leisten. Jeden Tag. Friedensarbeit schließt die Auseinandersetzung mit der
deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. Es gilt, sich über Quellen und Ursachen von
Menschenverachtung und Faschismus zu verständigen, um danach zu fragen, wie wir unsere
Demokratie und unsere freie Gesellschaft vor dem Gift faschistischer Ideologien und
Rechtsextremismus schützen können und wie wir in Zukunft miteinander leben wollen.

Es geht um Demokratie als tägliche Aufgabe, um Werte und Unwerte, um ein nicht einfach nur
weiter so, sondern um Rückschlüsse aus einer unbeschreiblich schweren Zeit für uns heute und
für die Zukunft unserer Kinder.

Wir haben die Chance der Demokratie. Für Frieden und Gerechtigkeit, in Europa und weit
darüber hinaus.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Gedenken zum 8. Mai – 75 Jahre Kriegsende und Tag der Befreiung, 7.5.2020

Sehr geehrte Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung
liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger!

Kennen Sie Tanjas Tagebuch?
Sie war 11, als sie mit ihren Eintragungen begann, während der Belagerung Leningrads. Sie schrieb: Schenja starb am 28. Dezember um 12.00 vormittags  1941.
Die große Schwester arbeitete in zwei Schichten, stellte Minenhüllen her, sie spendete auch Blut aus ihrem ausgezehrten Körper. Tanjas Tagebuch liegt heute im Museum Sankt Petersburg, es sind nur wenige Seiten, eine für jeden Toten. Großmutter, der Bruder Ljoka, die Onkel folgen, neben dem Wort Mama steht nur Datum und Uhrzeit.
Und dann:
Die Sawitschews sind gestorben. Alle sind gestorben.
Осталась одна Таня. Allein gelassen Tanja.

Sie wurde nur 14 Jahre alt, das Kriegsende erlebte sie nicht.
Eines von Millionen Opfer-Schicksalen, die wir gar nicht alle kennen können. Mehr als 60 Millionen Tote, unter ihnen 6 Millionen Juden, sowjetische, polnische, französische, britische, amerikanische Soldaten, Sinti und Roma, Menschen aus dem antifaschistischen Widerstand, zahllose Opfer aus der Zivilbevölkerung hatte dieser von Deutschland ausgegangene Krieg gefordert. Welches Entsetzen spricht aus diesen Geschichten - über das, was geschehen ist auf den Schlachtfeldern, in den Lagern, auf Todesmärschen, in den Dörfern und Städten. In Polen und in den Ländern der Sowjetunion, in Frankreich wie an vielen Orten in Europa. In Deutschland. Welcher Schmerz, Angst vor Tod und Vernichtung, Trauer und Bilder, die nie mehr aus dem Kopf gehen, Verletzungen der Seele, Traumata. Sprachlosigkeit, sogar in der eigenen Familie.

Familientragödien, 75 Jahre und mehr zurück, das ist lange, aber an Orten, die wir kennen, neu bebaut, gerade im Frühling herrlich grün.
Und doch – es war genau hier, bei uns. Die Schlacht um die Seelower Höhen hatte am 16. April 1945 den Kampf um Berlin eröffnet. Innerhalb von vier Tagen waren mehr als 70.000 sowjetische und mehr als 12.000 deutsche Soldaten gefallen. Die Rote Armee kam nördlich von Fürstenberg und südlich durch Forst. Sie erreichte die Berliner Stadtgrenze, am 30. April hissten Soldaten der Roten Armee die Rote Fahne auf dem Reichstag. Am 8. Mai war der Krieg beendet.Was für ein ungeheures Aufatmen in Berlin, in Brandenburg, in Deutschland, in Polen, in der Sowjetunion, in Frankreich, in ganz Europa und darüber hinaus. Endlich Frieden. Für viele Menschen kaum noch vorstellbar, dass der Alptraum dieses Krieges ein Ende nehmen würde.
Jedes Jahr am 8. Mai, dem Tag Befreiung rufen wir uns ins Bewusstsein, was das Ende des Krieges, die Befreiung vom Nationalsozialismus bei uns durch sowjetische Soldaten und die Chance auf Frieden für uns in Deutschland bedeutet. Für die Älteren starke Erinnerung an einen neuen Anfang, auch Scham. Für die Jüngeren historisches Ereignis, vergilbte Fotos, Schulstoff, Lebensgeschichten, vielleicht auch Tanjas Tagebuch.
Diese Vergegenwärtigung ist etwas Unverzichtbares für die Zukunft unserer freien Gesellschaft. Wir werden es nicht vergessen. Auch nicht, dass wir die Freiheit und die Demokratie nur mit unseren Nachbarn und Partnern in Europa wiedergewinnen konnten. Dieses Miteinander ist die Überlebensbedingung für ein friedliches, starkes und menschliches Europa. Es ist unsere Verpflichtung.
Weil es ohne Wissen um die eigene Geschichte keine Identität gibt. Weil wir wissen müssen, wer wir sind, um Freiheit zu verstehen, um Verantwortung zu übernehmen für uns und unsere Gesellschaft.
Die Spätfolgen der Vergangenheit von Faschismus und Krieg sind immer noch da – in Brandenburg wie in ganz Deutschland, in Polen, in Russland, in Frankreich, Großbritannien, in Europa, in den USA, bei vielen Menschen in Israel. Diese Kriegsfolgen sind verschieden. Wir müssen lernen, diese Unterschiedlichkeit unserer Erfahrungen anzuerkennen, ihnen Raum geben und uns noch stärker als bisher darüber austauschen.
Wir brauchen eine Sprache für die Erfahrungen der Nachkommen von Opfern und Tätern, um in immer tiefere Schichten der Erinnerung vorzudringen, in denen der Krieg, das Leid, die Verluste und das menschenverachtende System der Nationalsozialisten psychosoziale Spuren bei heutigen Generationen hinterlassen haben. Das sind Spuren, die weiterwirken in die Zukunft, mit denen wir leben und uns auseinandersetzen müssen.
In Brandenburg, wo uns die Geschichtsorte wie Seelower Höhen, Halbe, Kienitz, Sachsenhausen, Ravensbrück, der Belower Wald direkt vor Augen liegen, kommt dialogischer Bildungsarbeit eine besondere Verantwortung zu – eine integrative und europäische friedensfördernde Erinnerungskultur, die alle einbezieht - und auch heutige Kriegsorte, Flucht- und Gewalterfahrung berücksichtigt.
Es ist Zeit für ein „Forum Erinnerungskultur“, das Geschichte in ihren Schichten untersucht, vielschichtig, mit der Entwicklung neuer Strategien von Gedenken und Vergegenwärtigung. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist für ein tiefgründiges und differenziertes Verständnis alarmierender Tendenzen in unserer Gegenwart fundamental. Es geht um Demokratie als tägliche Aufgabe, um Werte und Unwerte, um ein nicht einfach nur weiter so, sondern um Rückschlüsse für uns heute und für die Zukunft unserer Kinder.

****

Ich bin sicher, dass wir unser geplantes Gedenken zum 75. Jahrestag der Befreiung mit Schostakowitschs Leningrader Sinfonie auf den Seelower Höhen nachholen werden.
Christian Seibert, Pianist und Leiter der KleistMusikSchule in Frankfurt (Oder) spielt heute für uns die letzten der 24 Präludien von Dmitri Schostakowitsch op.34, Miniaturen, jede anders. Musik zum Zuhören, Durchhören, Dahinterhören, die der introvertierte Komponist ungern erklärte: „Hören Sie doch meine Musik. Da ist alles gesagt“.
Dieser 75. Jahrestag der Befreiung – mitten in einer Viruspandemie, die jeden von uns auf eigene Weise sensibilisiert – dieser 75. Jahrestag der Befreiung ist ein besonderer Anlass, gemeinsam nachzudenken über unsere deutsche Geschichte des 20.Jahrhunderts, über Quellen und Ursachen von Menschenverachtung und Faschismus, um danach zu fragen, wie wir unsere Demokratie und unsere freie Gesellschaft vor dem Gift faschistischer Ideologien und Rechtsextremismus schützen können und wie wir in Zukunft miteinander leben wollen.
Es ist gut, am 8. Mai – 75 Jahre nach der Befreiung – an verschiedenen Orten Blumen niederzulegen.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Kurze Rede vor Eintritt in die Tagesordnung zum Thema Corona

Sehr geehrte Abgeordnete,
liebe Journalistinnen und Journalisten,
liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger,

es ist eine außergewöhnliche Situation, in der die heutige Plenarsitzung stattfindet. Das Gebot der sozialen Distanz gilt auch im Landtag. Aber es gilt nicht für die Demokratie. Wir wissen: Die Corona-Pandemie können wir nur gemeinsam bewältigen. In einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung müssen wir alle dafür sorgen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Auch wenn wir dafür nicht nur viele Einschränkungen auszuhalten haben, sondern das gesamte gesellschaftliche Leben auf ein Minimum heruntergefahren werden musste, ist es das Gebot dieser Notsituation, dafür zu sorgen, dass demokratische Prozesse und Strukturen trotzdem verlässlich funktionieren. Wir müssen Menschen schützen und wir müssen die Demokratie schützen, wir brauchen Daseinsvorsorge für die Demokratie. Hier ist unser Mut gefragt, unsere Besonnenheit und unsere Fähigkeit, mit fairen regeln kluge und Kompromisse auszuhandeln.
Damit in dieser Ausnahmesituation das Parlament handlungsfähig bleibt. Manches kann vertagt werden, aber Entscheidungen, die auch oder gerade wegen der zugespitzten Lage nicht aufgeschoben werden können – diese Entscheidungen müssen wir im Landtag treffen.
Und wir brauchen Transparenz. Das erfordert, dass wir zügig neue Lösungen finden, wo sich neue Herausforderungen ergeben. Es freut mich sehr, dass die Medien sowie alle interessierten Brandenburgerinnen und Brandenburger via Livestream nicht nur die Plenarsitzung, sondern nun auch die Arbeit in den Ausschüssen verfolgen können. Das Parlament lebt von der Öffentlichkeit – auch und gerade in dieser Ausnahmesituation.

Die Corona-Pandemie ist eine außergewöhnliche und bisher völlig unbekannte Herausforderung für unsere offene Gesellschaft und für jeden Einzelnen. Ich denke an die Ärzte und an das Pflegepersonal in den Krankenhäusern, an die Kassiererinnen in den Supermärkten, die Hausärzte, an die Vielen, die Nachbarschaftshilfe organisieren und für ältere Menschen einkaufen, an die Lehrerinnen und Lehrer, die in kürzester Zeit zu Experten für digitales Lernen geworden sind, an die Eltern im Homeoffice, die mit Humor, Herzlichkeit und klaren Ansagen den Familienalltag zu Hause gestalten, an Menschen, die aus Liebe und aus Sorge um Eltern und Großeltern auf Besuche verzichten. Wie die Brandenburgerinnen und Brandenburger all diese Herausforderungen meistern, das verdient Hochachtung. Das macht Mut. Dafür möchte ich Danke sagen. Danke für diese gegenseitige Ermutigung und Unterstützung. Danke für das Abstandhalten und das Aufeinander achtgeben. All das macht zuversichtlich, dass wir die Pandemie gut überstehen, dass wir gesund bleiben oder schnell wieder gesundwerden. Und dass wir die Schwächsten in unserem Land nicht vergessen.
Obdachlose, Betagte, Menschen, denen die Mittel zu ihrem Lebensunterhalt fehlen – Sie alle brauchen jetzt unsere Hilfe. Deshalb mein Appell:
Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger, wir alle können etwas tun – Nachbarn mit Einkäufen unterstützen, digitale Grüße versenden und uns mit denen austauschen, die einsam sind in ihrer häuslichen Isolation. Und wenn Sie Lebensmittel übrig haben – bitte wenden Sie sich an die Tafel bei Ihnen vor Ort und fragen Sie, wie Sie unterstützen können. Auch wenn wir die physische Distanz zueinander strikt einhalten – die soziale Distanz können wir überwinden.
In Corona-Zeiten sollten wir das bürgerschaftliche Engagement, das stark und sichtbar ist in unserem Land, das uns ausmacht und zu unserer Identität gehört, weiter stärken. In der außergewöhnlichen Situation, angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, bleibt der Landtag handlungsfähig. Entscheidungen, die auch oder gerade wegen der zugespitzten Lage nicht aufgeschoben werden können - diese Entscheidungen werden wir im Landtag treffen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung der heutigen Sitzung möchte ich noch auf ein besonderes Jubiläum hinweisen. Die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, die LAkD wird heute 10 Jahre alt. Dazu möchte ich Frau Nooke und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich gratulieren. Und ich möchte der LAkD einen herzlichen Dank sagen für die herausragende Arbeit und ihr kämpferisches Engagement für Menschen, die in der DDR schweres Unrecht erlitten haben. Die Arbeit der LAkD ist und bleibt wichtig für unser Land, denn ein lebendiges Geschichtsbewusstsein stärkt die Demokratie und unser Selbstverständnis als Bürgerinnen und Bürger einer menschenfreundlichen und offenen Gesellschaft.
Für die kommenden 10 Jahre wünsche ich Frau Nooke und ihrem Team viel Erfolg, viel Austausch und viel öffentliche Resonanz für Ihre Arbeit.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

30. Brandenburgische Frauenwoche 2020 – landesweiter Auftakt

Anrede
Heiderose Gerber, Frauenpolitischer Rat,
Carsten Werner, Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Brandenburg,
Martina Trauth, Gleichstellungsbeauftragte Potsdam

Liebe Mitglieder des Frauenpolitischen Rates, liebe Frauen,

seit 30 Jahren gibt es die Brandenburgische Frauenwoche – ein Markenzeichen für ein wirklich beispielloses Engagement von Frauen für Frauen, für wirkliche Gleichstellung in der Politik und in allen Bereichen der Gesellschaft. Mit klugen Ideen, Eigeninitiative, Leidenschaft für die Sache und mit Hunderten von Veranstaltungen sorgen engagierte Frauen dafür, dass die Brandenburger Frauenwoche im ganzen Land präsent ist.

Sie sind Mitgestalterinnen von Gleichstellungspolitik in Brandenburg und haben gemeinsam mit dem Frauenpolitische Rat dafür gekämpft, dass wir in Brandenburg als erstes Bundesland ein Paritätsgesetz auf den Weg bringen konnten. Unser Frauenpolitischer Rat darf stolz sein auf diesen Erfolg und auf das deutschlandweit einzigartige und nachhaltige Projekt Brandenburgische Frauenwoche. Zum 30. Geburtstag der Brandenburgischen Frauenwoche möchte ich herzlich gratulieren!

Gut, dass Sie, dreißig Jahre lang durchgehalten haben mit all dem Engagement. Aber wir hätten uns alle gewünscht, dass wir endlich Gleichstellung in der ganzen Gesellschaft verwirklicht hätten. Nun gibt es immer noch viel zu tun.

Denn noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt 20 Prozent weniger als Männer, leisten dafür aber viel mehr unbezahlte Arbeit in Familie und Haushalt, erhalten durchschnittlich 40 Prozent weniger Rente als Männer und machen 90 Prozent der von Armut gefährdeten Alleinerziehenden aus.

Wieviel noch zu tun ist bis zur Gleichstellung, das begegnet einem auf Schritt und Tritt, wenn man mit offenen Augen durch den Tag geht.
Erzählen von der Reise nach Polen. Georgische Bildungsministerin, die etwas zu sagen hatte,
im Kreis von lauter Männern.

Ulrike Liedtke – viele Jahre im Deutschen Musikrat die einzige Ossi und einzige Frau ...

Dabei gehören die Frauen doch genauso wie die Männer dazu, genauso wie alle Menschen dazugehören, unabhängig von ihrem Geschlecht
Und solange wir das nicht verändert haben, solange ist Artikel 3 unseres Grundgesetzes, in dem es heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, noch nicht vollständig verwirklicht.

Ohne Geschlechterparität bleibt die Demokratie unfertig, weil Gleichberechtigung aller Menschen, aller Geschlechter genauso wie soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Selbstbestimmung zu den Grundvoraussetzungen einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft gehören.

Auch wenn das Brandenburger Paritätsgesetz jetzt vom Landesverfassungsgericht geprüft wird: ganz unabhängig davon, wie die Klage ausgeht, hat Brandenburg hier bundesweit ein Zeichen gesetzt für die Gleichstellung von Frauen in der Politik.

Wir haben schon viel erreicht mit unserem Vorstoß. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit uns der Schulterschluss zwischen Abgeordneten, Frauenpolitischen Rat und vielen engagierten Frauen aus Brandenburg – ein schönes Beispiel für einen breiten demokratische Diskurs.

Seit 2016 laden Frauenpolitischer Rat und die frauenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen zum Internationalen Frauentags ein – nicht nur zum Feiern, sondern auch zu politischen Diskussionen. Wir hissen jedes Jahr zusammen die Flagge „Nein zu Gewalt an Frauen!“ im Innenhof und haben zusammen den 25jährigen Geburtstag des Frauenpolitischen Rates gefeiert.

2018 hatten wir die sehr erfolgreiche Paritätskonferenz mit 150 Frauen im Landtag und die großartige Festveranstaltung 100 Jahre Frauenwahlrecht mit dem Frauenwahllokal, mit der Szenischen Lesung vom Theater 89 – „Die Kämpfe um das Frauenstimmrecht im Deutschen Reichstag“ und dem Festvortrag Prof. Dr. Christina Thürmer-Rohr – „100 Jahre Frauenstimmrecht und die Folgen“.

Wir haben eine lebendige und tolle Zusammenarbeit zwischen engagierten Frauen im Frauenpolitischen Rat und den Parlamentarierinnen im Landtag.
Frauen im Parlament, Frauenpolitischer Rat, Expertinnen und engagierte Frauen haben zusammen etwas auf den Weg gebracht in Brandenburg. Daran können wir anknüpfen und weitermachen, bis Parität etwas ganz Normales geworden ist – in Brandenburg und deutschlandweit.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie Brandenburg
Führungswechsel am 2. März 2020

Oberst Detlefsen,
Oberstleutnant Trämmler, Hauptmann Theilen,
Sehr geehrter Herr Landrat,

Liebe Soldatinnen und Soldaten,

ich freue mich, Sie an diesem besonderen Tag für die Regionale Sicherungs- und Unterstützungs-kompanie Brandenburg zu begrüßen. Ein Führungswechsel findet heute statt. Ihr langjähriger Kompaniechef, Oberstleutnant Peter Trämmler, der die Kompanie lange geprägt hat, übergibt den Staffelstab an seinen Nachfolger Hauptmann Volker Theilen.

Auch für mich ist das heute ein besonderer Tag. Es ist mein erster Auftritt als Landtagspräsidentin auf einem Appellplatz bei einem militärischen Zeremoniell. Also Neuland für mich.

Ich bin beeindruckt, was Sie als freiwillig und im Ehrenamt als Reservistinnen und Reservisten bei der Bundeswehr leisten. Sie haben sich entschieden für eine besondere Form bürgerschaftlichen Engagements. Sie übernehmen Verantwortung, die an Verbindlichkeit keinem anderen Ehrenamt gleichkommt. Sie haben einen Schwur geleistet und haben sich eine Verpflichtung auferlegt, eine der Sie bei Einsätzen und Übungen immer wieder neu gerecht werden. Eine ernste Sache, denn es kann Situationen geben, in denen Sie Ihr Leben einsetzen müssen. Davor kann man nur den Hut ziehen.

Unterstützung und Verstärkung der aktiven Truppe bei Wach- und Sicherungsaufgaben zum Schutz von Anlagen und Einrichtungen der Bundeswehr in der Region und Hilfeleistung bei Natur-katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen – so lautet der Auftrag der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie Brandenburg.

Die erste Bewährungsprobe für die Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie Brandenburg war der Hochwassereinsatz 2013. Seither steht die Kompanie Menschen zur Seite bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen. Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, stehen in der 1. Reihe, um Menschen aus schweren Notlagen zu befreien und Schaden abzuwenden.

Das, was Menschen wie Sie, die im bürgerlichen Leben Ingenieure, Krankenpfleger, Erzieher oder Landrat wie Daniel Kurth, ob Berufskraftfahrer Justizvollzugsbeamte, Vermögensberater, Einzelhandelskaufleute, Friedhofsgärtner sind, Mediaberater oder Schulhausmeister oder Studenten – was Sie als Reservistinnen und Reservisten in der Bundeswehr für unser Land leisten, davon wissen viele im Land gar nichts. Das gehört noch viel stärker ins öffentliche Bewusstsein.

Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, investieren in Ihrem besonderen Ehrenamt einen beachtlichen Teil Ihrer Freizeit, die Sie nicht mit Ihren Partnern, Familien, Freunden verbringen. Da braucht es viel Verständnis und Unterstützung.

Ich freue mich, so viele Angehörige zu sehen, Eltern, Großeltern, Geschwister, Freunde und Partner. Sie alle sind für die Soldatinnen und Soldaten ein ganz wichtiger Rückhalt. Dafür möchte ich Ihnen meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen.

Soldatin und Soldat sein, das ist ein besonderer Dienst. Sie sind Beschützer, Katastrophenhelfer und Aufbauhelfer. Soldatin, Soldat sein kann auch in schwere Entscheidungssituationen führen, in Situationen, in denen Sie ihr Leben aufs Spiel setzen.

Wir in der Politik dürfen das nie vergessen. Über dieses wichtige Thema brauchen wir eine permanente und ehrliche öffentliche Debatte. Wann ist militärisches Eingreifen gerechtfertigt? Zu welchem Zweck findet ein Einsatz statt? Mit welchen Mitteln? Für Menschen in der Politik ist das eine der schwierigsten Fragen, es ist eine ethische Frage, die uns alle angeht, die Bürgerinnen und Bürger und die Soldatinnen und Soldaten, die ein Recht darauf haben zu verstehen, warum sie in einen Einsatz geschickt werden.

Wir in Deutschland sind vorsichtig mit dem Einsatz militärischer Gewalt. Und das zu Recht. Denn deutsche Soldaten haben in zwei Weltkriegen unendlich viel Leid verursacht. Das prägt unser Land und unsere politische Kultur bis heute und das bedeutet auch für Soldatinnen und Soldaten eine besondere Verantwortung.

Wir wissen: Frieden kommt nicht von allein, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss von Menschen geschaffen und gehalten werden. Freiheit bewahren, kann auch bedeuten, sie zu verteidigen. Deshalb brauchen wir die Bundeswehr und wir brauchen Frauen und Männer wie Sie, die bereit sind, in der Bundeswehr zu dienen.

Sie haben sich dafür entschieden, für die Sicherheit in unserem Land und wenn es sein muss, auch für die Sicherheit unseres Landes einzustehen. Das verdient Anerkennung und Respekt der ganzen Gesellschaft. Die Bundeswehr hat ihren Platz in der Mitte unserer Gesellschaft. Das ist auch mit dem Begriff Staatsbürger in Uniform gemeint. Gut, dass Sie da sind. Wir brauchen Sie in Brandenburg. Wir Abgeordnete im Landtag Brandenburg stehen an Ihrer Seite.

Ich möchte Ihnen Dank sagen für Ihren engagierten Einsatz für uns in Brandenburg. Sie sind vielen Menschen ein Vorbild.

Ich wünsche Ihnen für Ihren Einsatz Kraft, Zuversicht und immer die so entscheidende Kameradschaft und Solidarität in der Kompanie, einer starken Gemeinschaft, von der Sie getragen und unterstützt werden. Viel Gesundheit, viel Freude in Ihrem verantwortungsvollen Dienst. Alles Gute für Sie und Ihre Familien.

Herzlichen Dank!

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Rede von Landtagspräsidentin Prof. Dr. Liedtke zum Gedenktag für die Opfer des
Nationalsozialismus, 27. Januar 2020, Sachsenhausen, Station Z

Sehr geehrte Überlebende und Angehörige der Überlebenden,
lieber Herr de Boef,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Staatssekretäre, Vertreter der Kirchen
und Religionsgemeinschaften sowie des Zentralrates der Juden,
sehr geehrter Senator Lederer,
Herr Landrat Westkamp,
lieber Herr Bürgermeister Laesicke, Herr Dr. Drecoll,
meine Damen und Herren,
Exzellenzen,

begrüßen darf ich die Vertreterinnen und Vertreter der diplomatischen Missionen aus Israel, Belarus, Litauen, Polen, Russland, Österreich, Tschechien, Frankreich, USA und dem Vereinigten Königreich.

Danke dafür, dass Sie zu dieser Gedenkveranstaltung gekommen sind. Ebenso freue mich, dass ich Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums aus Panketal begrüßen kann, die uns die Namen von Opfern des Todesmarsches lesen.
Vielen Dank für euer Engagement.

Es war eine gute Idee, uns alle, die wir hier versammelt sind, heute aus unseren Alltäglichkeiten herauszuholen, um zu gedenken.

Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, am Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee im letzten Jahr der Kriegskatastrophe 1945 und am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

Jedes Jahr am 27. Januar stehen wir hier an der Station Z., einer Endstation für Menschen, für diejenigen, die von der SS im Lager Sachsenhausen ermordet wurden. An diesem bedrückenden Ort mit seiner Wahrheit schließen wir alle Opfer in unser Gedenken ein, die in den Konzentrationslagern ihr Leben verloren und dabei denken wir an jeden einzelnen Menschen und seine bekannten und noch unbekannten Geschichten.

Und - es ist gut, dass wir erinnern, um wach zu bleiben.
Mitten im Sommerurlaub in wunderschön seenreicher Gegend begegnen Familien in vielen unserer Orte großen Erinnerungstafeln an den Todesmarsch. Der Betrachter findet seinen Standort, genau hier gab es unsägliches Leid.

In diesem Jahr vertiefen wir die Erinnerung an die Menschen, die auf den Todesmärschen des KZ Sachsenhausen umgekommen sind. In der Nacht zum 21. April 1945 wurden die ersten Gruppen von mehr als 33 000 Häftlingen, darunter viele Frauen und Kinder, nach Nordwesten getrieben.

Fast ohne Verpflegung, bei nasskaltem Wetter mussten sie täglich bis zu 40 Kilometer marschieren. Wer nicht mehr konnte, wurde von der SS am Wegesrand erschossen. In Rheinsberg, meinem Heimatort, berichten die Älteren davon, sie waren Kinder, und reden oft erst jetzt darüber.

Louis Péarron, (Lui Pöarong) ein Überlebender des Todesmarsches berichtete:
„Einmal sehe ich zwei Kameraden, die mit angezogenen Knien auf der Seite liegen, als würden sie schlafen. Ich fragte meinen Nachbarn, wie kommt es, dass sie die Gefangenen schlafen lassen? Hat sich hier etwas verändert?

Wir hatten bald eine Erklärung, als wir Zeugen einer Hinrichtung eines Kameraden werden, der immer langsamer wurde und hinter der Kolonne zurückblieb. Die SS-Leute verlangten, dass der arme Mann sich hinkniet, ziehen ihm die Mütze über die Augen. Dann ein Pistolenschuss in den Nacken. Niedergeschmettert fällt er mit angezogenen Knien zur Seite, als würde er schlafen.“

Geschichten wie diese sind eigentlich nicht auszuhalten. Aber diese Geschichten müssen erzählt werden, denn es sind die Geschichten unserer Mitmenschen und damit unsere eigenen Geschichten. Mehr als tausend Häftlinge hatten den Todesmarsch nicht überlebt.

Wir können uns nicht vorstellen, wie sich das angefühlt haben muss, so etwas zu erleben. Aber: Wir können die Perspektive des anderen Menschen einnehmen, wenn wir zuhören, wenn wir an die Orte der Erinnerung zurückkehren, wenn wir innehalten und der Menschen gedenken, die hier Leid erduldet haben. Erinnern, vertiefen, gedenken, niemals vergessen, nie wieder.

Zu diesem Perspektivwechsel hat der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas in seinem Humanismus des anderen Menschen aufgefordert. Für Emmanuel Levinas, der erst nach Kriegsende erfahren hatte, dass litauische Soldaten seine Eltern und seine Brüder erschossen hatten, weil sie Juden waren, wurde die Frage nach dem „Nie wieder!“ zum Grundthema seines Lebens.

Seine Antwort klingt einfach: Wenn wir wollen, dass Faschismus, Völkermord, Gewaltherrschaft nie wieder geschehen, müssen wir die Richtung ändern und statt immer nur uns selbst den Anderen in den Blick nehmen.

Das bedeutet eine neue Ethik, die konsequent den anderen Menschen in die Mitte stellt und davon ausgeht, dass wir Verantwortung für den Anderen haben – weil jeder Mensch einzigartig ist und verletzbar und in seiner Verletzbarkeit auf Zuwendung angewiesen. Konsequent weiter gedacht wäre niemand mehr fähig Krieg zu führen.

Von dieser neuen Perspektive aus können wir die Schatten unserer Geschichte in unser Gedächtnis lassen und aushalten. Wenn wir den Geschichten der Zeugen zuhören, können wir uns verändern und weiterentwickeln – als Einzelne und als Gesellschaft.

Deshalb ist es so wichtig, Erinnerung zu teilen, mitzuteilen und zuzuhören. Die Gespräche mit den Zeitzeugen, die noch immer die Kraft aufbringen, uns von dem Erlebten zu erzählen, werden immer kostbarer mit der Zeit. Diese Gespräche wird es nicht mehr lange geben. Wir stehen an einem Übergang mit unserer Erinnerungskultur, mit unserer Praxis, aus der Geschichte zu lernen.

Aus der Geschichte lernen. Das können wir und es ist unsere Aufgabe, unsere Pflicht als empathische verantwortungsvolle Menschen. Aber aus der Geschichte lernen, reicht nicht für ein „Nie wieder!“ Wir müssen uns fragen, wie wir dafür sorgen können, dass Nazipropaganda, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit heute in unserem Land keinen Raum finden.

Weil es schlimmer geworden ist, weil sich Hass und Hetze im Netz ausbreiten, weil es mehr rechtsextreme Gewalt gibt, weil Antisemitismus und Alltagsrassismus auch in der Mitte der Gesellschaft vorkommen, deshalb müssen wir uns fragen, wie wir das schaffen können, unser gesellschaftliches Immunsystem zu stärken.

Levinas hat uns einen Weg gezeigt. Seinen Humanismus des Anderen ernst nehmen, heißt, sich zu Wort melden, aktiv werden, Einspruch erheben, wenn Menschen ausgegrenzt werden, weil sie anders sind. Weil jeder der Andere ist – und in seiner Verletzbarkeit auf Andere angewiesen.

Wir alle sind fähig, Geschichten der Opfer und Geschichten der Überlebenden in unsere inneren Bilder und Geschichten aufzunehmen. Deshalb sind Gedenkorte wie Sachsenhausen so wichtig für unser Menschsein, für die Reflexion darüber, was es bedeutet heute als Menschen in unserer Welt zu sein.

Vor kurzem erzählte mir eine junge Frau, dass sie sich nicht schuldig fühlt für die Verbrechen der Nationalsozialisten, aber dass sie eine Verantwortung spürt, weil es geschehen ist. Verantwortung spüren, das kann der Anfang sein, Nein zu sagen, wenn Menschen diskriminiert, herabgewürdigt, ausgegrenzt werden.

In der deutschen Sprache sagen wir, dass wir Verantwortung „wahrnehmen“. Das hat eine doppelte Bedeutung: Etwas „wahrnehmen“ bedeutet ja etwas beobachten, empfinden. Da ist nicht nur der Verstand gefragt. Da ist unser Herz beteiligt, Empathie, Empfindung. Aber es geht noch weiter: wer Verantwortung wahrnimmt, hat aus der Verantwortung heraus auch zu handeln.

Wir können fragen: Wer wollen wir gewesen sein? Die Erinnerung an die Opfer gibt dieser Frage eine Richtung.

Verantwortung spüren, weil es geschehen ist. Und Gegenbilder entwickeln; Zukunftsbilder einer Gesellschaft, in der dieser Schrecken nicht mehr zu fürchten ist.

Danke, dass Sie alle gekommen sind.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Begrüßung zum Parlamentarischen Abend von Rolls-Royce
am Donnerstag, 23.01.2020

Anrede:
Ministerpräsident,
MdL
Dr. Dirk Geisinger, Vorsitzender der Geschäftsführung Rolls-Royce
Deutschland

Liebe Gäste,

ich freue mich, Sie zum Parlamentarischen Abend von Rolls-Royce zu begrüßen. Zwischen Rolls Royce und dem Land Brandenburg besteht eine vertrauensvolle, produktive und bewährte Partnerschaft, die uns in Brandenburg viel bedeutet und die wir gern weiterentwickeln wollen. Rolls Royce hat Spitzentechnologie in unserem Land etabliert, hochwertige Arbeitsplätze geschaffen und unsere Region gestärkt. Dieses große Engagement schätzen wir sehr in Brandenburg.

Seit unserem letzten parlamentarischen Abend mit Rolls Royce vor zwei Jahren ist viel passiert. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben einen neuen Landtag gewählt. Wir haben eine neue Landesregierung, die dabei ist, ein anspruchsvolles Zukunftsprogramm umzusetzen.

Ich freue mich, dass wir heute Abend gemeinsam den Blick in die Zukunft richten.
Zukunftsweisendes werden wir heute Abend von Rolls Royce erfahren. In der Wirtschaft wie in der Politik stehen wir vor dringlichen Fragen, wie wir Klimaschutz und Wirtschaftsentwicklung künftig verbinden können.

Bei einem Besuch im Potsdamer Klimafolgenforschungsinstitut habe ich von Prof. Edenhofer und Prof. Rockström erfahren, dass ein interdisziplinäres Forscherteam am PIK geeignete gesellschaftliche „Kippmechanismen“ untersucht, welche in der Lage sind, schnelle und zugleich anschlussfähige Veränderungen hin zu einer Klimastabilisierung zu ermöglichen, damit wir das Pariser Klimaziel und Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts erreichen.

Das stärkste kurzfristige Transformationspotenzial sehen die Forscherinnen und Forscher nicht nur in Systemen zur Energieerzeugung und Speicherung, sondern vor allem auch in der Nutzung treibhausgasneutraler Technologien.
Deshalb ist das Engagement von Rolls Royce für Transformationsprozesse in Richtung klima- und umweltfreundlichen Technologien wie die Elektrifizierung von Antrieben und Entwicklungen von der Gasturbine zu hybrid-elektrischen Luftfahrtantrieben außerordentlich zu begrüßen.

Genauso wie die Verbesserung der Treibstoffeffizienz von Gasturbinen und die Entwicklung neuer Technologien für umweltfreundlichere und nachhaltige Kraftstoffe. Und wir freuen uns natürlich, dass Brandenburg für die Entwicklung hybrid-elektrischer Antriebe künftig eine zentrale Rolle spielen wird.

Dafür steht ja auch die enge Zusammenarbeit von Rolls Royce mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus/Senftenberg und die Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Unternehmen der Region. Wir freuen uns sehr, dass Rolls Royce auf so vielfältige Weise seine Kapazitäten in Brandenburg erweitert hat und zugleich die BTU stärkt, die im Prozess des Strukturwandels in der Lausitz eine entscheidende Rolle übernommen hat.

Ich möchte Rolls Royce herzlich Dank sagen, dass Sie so viel nachhaltige Innovation nach Brandenburg gebracht haben und dies auch weiterhin tun. Danke, dass Sie unser Land auf so vielfältige Weise stärken. Wir Abgeordneten sind sehr froh, dass wir in Brandenburg diese langjährige starke Partnerschaft mit Rolls Royce haben. Wir freuen uns auf die Zukunft dieser Zusammenarbeit. Schön, dass Sie heute Gastgeber des parlamentarischen Abends sind. Ich wünsche uns allen einen anregenden Austausch, gute Gespräche und übergebe jetzt gern das Wort an Herrn Dr. Geisinger, Vielen Dank!

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Grußwort von Landtagspräsidentin Prof. Dr. Liedtke zum 15. Brandenburger
Ehrenamtsempfang am 18. Januar 2020

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,
sehr geehrte Abgeordnete,
liebe Ehrenamtliche,

ich freue mich, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind zum gemeinsamen Ehrenamtsempfang von Landtag und Landesregierung. Meine Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen und ich freuen uns, Sie kennenzulernen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und vor allem darauf, Ihnen Dank zu sagen für das, was Sie für unser Land Brandenburg leisten – die meisten von Ihnen schon seit vielen Jahren.

Sie haben unser junges Land Brandenburg mit aufgebaut, als Gemeindevertreter, Naturschützer, Trainer, Musiker, Konzeptkünstler, als Feuerwehrfrauen- und -männer oder Katastrophenschützer, als Helfer und Unterstützer für Andere, als Museumsexperten und Aktivisten für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Diese Fülle von Engagement, dieses Engagement eines jeden Einzelnen von Ihnen - das kann man eigentlich gar nicht genug würdigen.

Aber genau das wollen wir heute tun. Heute geben wir dem Ehrenamt eine Bühne in der Öffentlichkeit und wollen das Ehrenamt in Brandenburg feiern. Wir wollen Sie feiern, liebe Ehrenamtliche, denn unser Land hat Ihnen viel zu verdanken.

In diesem Jahr feiern wir in Deutschland 30 Jahre Deutsche Einheit. Und die zentralen Feierlichkeiten für alle Bundesländer finden bei uns in Brandenburg statt – hier in unserer Landeshauptstadt Potsdam. WIR MITEINANDER heißt das Motto dieser Feierlichkeiten. Für uns in Brandenburg heißt das Begegnung, Austausch, Innovation, gemeinsame Arbeit und gemeinsame Verantwortung für unser Land.

All das macht uns aus. Und ich finde, dass wir in unserem jungen Land Brandenburg, denn das sind wir mit unseren 30 Jahren seit der Wiedergründung Brandenburgs im Jahr 1990 – bereits sagen können, es gibt eine Brandenburger Identität – das ist schon etwas Besonderes. Weltoffenheit, Demokratie, Toleranz, ehrenamtliches Engagement, starke Universitäten und Unternehmen, internationale Spitzenforschung, unser Bündnis für Brandenburg und unser Tolerantes Brandenburg, unsere sorbisch-wendische Kultur, das Potsdamer Weltkulturerbe, lebendige Dörfer und lebenswerte Städte – all das und noch viel mehr steht für unsere Brandenburger Identität in ihrer ganzen Vielfalt und Dynamik, jung und im Werden, aber von den Brandenburgern mit Herz und Verstand gelebt und in anderen Regionen wahrgenommen – eine Identität, die uns in Brandenburg mit uns selbst verbindet und mit der Welt. Diese Brandenburger Identität haben Sie, liebe Ehrenamtliche auf ganz besondere Weise mitgeprägt.

Menschen wie Sie alle, die sich mit dem Ehrenamt für ein öffentliches Leben entscheiden, die sich einbringen in die Öffentlichkeit mit ihren Ideen, ihrem Engagement, die für ein gutes Miteinander in der Öffentlichkeit auch streiten können - sie sind es, die eine lebendige Gesellschaft gestalten.
Eine lebendige Gesellschaft – das ist eine Gesellschaft, die sich verändern kann, die in der Lage ist, mit mutigen und klugen Zukunftsentwürfen auf die großen Veränderungen zu antworten, den Klimawandel, die Globalisierung, die Digitalisierung.

Eine lebendige Gesellschaft ist eine, in der Menschen diese tiefgreifenden Transformationsprozesse nicht erleiden, sondern bewusst gestalten. Das können wir, wenn wir uns darüber verständigen, in welcher Zukunft und wie wir miteinander leben wollen.

Eine lebendige Gesellschaft wird ermöglicht von einer aktiven, bunten und kreativen Zivilgesellschaft, von der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, öffentliche Ämter zu übernehmen, Demokratie zu stärken, sich für Andere einzusetzen und auch dafür zu sorgen, dass Menschen in Sicherheit leben können, dass sie auch in schwierigen Lebenssituationen Unterstützung finden.

Sie, liebe Ehrenamtliche gestalten diese lebendige Gesellschaft an verantwortlicher Stelle mit. Sie machen unser Land warmherziger, freundlicher, offener, moderner und wandlungsfähiger. Was wären wir ohne Sie in Brandenburg? Vielleicht haben Sie manchmal den Eindruck, dass Ihr großes Engagement noch nicht die öffentliche Anerkennung und vor allem noch nicht die Unterstützung findet, die es verdient.

Ich denke, hier können wir in der Politik noch besser werden. Und wenn es leider vorkommt, dass Bürgermeister oder Gemeinderäte angefeindet oder bedroht oder sogar körperlich angegriffen werden, dann geht das uns alle an, die Politik, die Justiz, die Polizei und die Zivilgesellschaft.

Es darf nicht sein, dass Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker oder Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen, nicht mehr ruhig schlafen können oder sich abends nicht mehr aus dem Haus trauen, weil sie bedroht werden.
Es darf nicht sein, dass Menschen aus Angst vor ihren Mitmenschen ihre Verantwortung abgeben, dass junge Menschen nicht in die Kommunalpolitik wollen, weil sie sagen: "Ich bin doch nicht blöd, diesem Druck setze ich mich bestimmt nicht aus!" Wir können das nicht hinnehmen, denn wir brauchen doch jeden, dem sein Dorf, seine Stadt, seine Gemeinde am Herzen liegt und der nicht nur an sich selber denkt, sondern auch an die Gemeinschaft, in der er lebt. denkt als nur an sich selbst.

Es ist die Aufgabe von Politik, Polizei und Justiz, Menschen in öffentlichen Ämtern und in Ehrenämtern zu schützen. Aber es ist auch unsere Aufgabe als Bürgerinnen und Bürger, gegen ein Klima des Hasses und der Menschenverachtung zu kämpfen, wo gesellschaftliches Engagement nicht gedeihen kann und nicht wirksam werden kann für das Gemeinwohl.
Deshalb: Je mehr wir sind, die sich für unser Land im Ehrenamt engagieren und je besser wir einander unterstützen und uns gegenseitig den Rücken stärken – umso besser für unsere Demokratie und unsere lebendige Gesellschaft.

Das ist gelebtes MITEINANDER - wenn Menschen miteinander im Austausch stehen und zusammenarbeiten, selbstbestimmt und in Freiheit und wenn alle eingeladen sind, zu diesem MITEINANDER dazugehören. Die Ehrenamtlichen leben uns vor, wie das geht. Deshalb möchte ich Ihnen heute danken für das Kostbare und Ermutigende, das jeder von Ihnen in unser Gemeinwesen einbringt.

Ich möchte Ihnen Dank sagen für Ihre Zeit, Ihre Kraft, Ihre Ideen und Ihre Empathie gegenüber anderen. Und ich möchte Sie bitten, unser Land auch in Zukunft aktiv mitzugestalten, jungen Menschen Mut zu machen, sich zu engagieren und uns Abgeordneten auch zu sagen, wie wir Sie noch besser unterstützen können. Wir werden Ihnen zuhören – nicht nur heute Abend, sondern jeden Tag – in unseren Wahlkreisen und im Parlament.

Vielen Dank! Und jetzt übergebe ich gern das Wort an unseren Ministerpräsidenten Dietmar Woidke.

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- Es gilt das gesprochene Wort-

Grußwort von Landtagspräsidentin Prof. Dr. Liedtke zur Ausstellungseröffnung
AugenZeugen – „Es ist nicht leicht, sich zu erinnern – und schwer zu vergessen!“ –
Überlebensgeschichten der Schoa am 7. Januar 2020

Sehr geehrte Abgeordnete (MdL),
sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Schüle,
Staatssekretärin Heyer-Stuffer und
Staatssekretär Ubbelohde.

Ganz besonders freue ich mich, dass ich den Vertreter der Botschaft Israels Herrn Lebovich unter uns begrüßen kann. Darüber hinaus begrüße ich ganz herzlich Frau Dr. Kotowski, Frau Krause-Hinrichs, Herrn Barniske, Herrn von Kirchbach, die Herren Kutikow und Tkach, Frau Ivanidze, Herrn Dr. Stein und die Mitglieder des Jugendklubs "Lifroach",

Seien Sie mir alle herzlich willkommen!

„Es ist nicht leicht, sich zu erinnern – und schwer zu vergessen!“ Den Überlebensgeschichten, die uns hier in der Ausstellung begegnen in fotografischen Menschenbildern und Texten, kann man nur mit Demut begegnen.

Wir können uns nicht vorstellen, was die AugenZeugen auf den Fotografien erlebt haben. Was es bedeutet hat, trotz Hunger, Kälte, Folter, Demütigung und ständiger Todesangst nicht den Glauben an das Leben zu verlieren, nicht den Glauben an sich selbst und an die eigene Würde. Auch nicht, was es bedeutet, nicht zu wissen, ob der Schrecken jemals enden wird.

Im Talmud heißt es: „Wir sterben, wenn wir nicht erinnern“ – dieses „Wir“ schließt uns nicht ein. Es meint die Überlebenden.

Aber von uns, die wir die Geschichten der AugenZeugen hören und lesen, kann das „Wir sterben, wenn wir nicht erinnern“ verstanden werden als eine Aufforderung, die Perspektive des Anderen einzunehmen.

So wie der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas es in seinem Humanismus des anderen Menschen fordert.

Für Emmanuel Levinas, der erst nach Kriegsende erfahren hatte, dass litauische Soldaten seine Eltern und seine Brüder erschossen hatten, weil sie Juden waren, wurde die Frage nach dem „Nie wieder!“ zum Grundthema seiner Philosophie.

Seine Antwort klingt verstörend einfach: Wenn wir wollen, dass Faschismus, Völkermord, Gewaltherrschaft nie wieder geschehen, brauchen wir einen radikalen Perspektivwechsel – weg von uns selbst und hin zum anderen – eine neue Ethik, die konsequent den anderen Menschen in den Mittelpunkt stellt und davon ausgeht, dass wir Verantwortung für den Anderen übernehmen – weil jeder Mensch einzigartig ist und verletzbar und in seiner Verletzbarkeit auf Zuwendung angewiesen.

Von dieser neuen Perspektive aus schließt uns der Satz aus dem Talmud schließlich doch ein:
„Wir sterben, wenn wir nicht erinnern“. Nur wenn wir auch die Schatten unserer Geschichte in unser Gedächtnis lassen, wenn wir den Geschichten der Zeugen zuhören, können wir uns verändern und weiterentwickeln – als Einzelne und als Gesellschaft.

Deshalb ist es so wichtig, Erinnerung zu teilen, mitzuteilen und zuzuhören. Es ist berührend, dass die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus Israel im hohen Alter sich noch immer regelmäßig auf die Reise nach Deutschland machen und mit Schülerinnen und Schülern sprechen, mit Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft.

Noch immer tun sie das und wir wissen zugleich, dass die Zeit kostbar ist und es diese Gespräche nicht mehr lange geben wird. Wir stehen an einem Übergang mit unserer Erinnerungskultur, mit unserer Praxis, aus der Geschichte zu lernen.

Wir können und wir müssen Lehren aus der Geschichte ziehen. Aber das reicht nicht für ein „Nie wieder!“ Wir müssen uns fragen, wie wir das Immunsystem dieser Gesellschaft schützen können vor Nazipropaganda, Hetze, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit.

Levinas hat uns einen Weg gezeigt. Seinen Humanismus des Anderen ernst nehmen, heißt, sich zu Wort melden, aktiv werden, Einspruch erheben, wenn Menschen ausgegrenzt werden, weil sie anders sind. Weil jeder der Andere ist – und in seiner Verletzbarkeit auf Andere angewiesen.

Die AugenZeugen auf den fotografischen Porträts von Kai Abresch schauen den Betrachter an. Wir können ihre Bilder zu unseren inneren Bildern machen und ihre Erinnerung in unsere aufnehmen.

Wir können diese Erinnerungen immer wieder wachrufen, wenn wir es wollen. Die Porträts und die Geschichten vom Überleben in dieser Ausstellung machen Mut, diese Erinnerungsbilder auszuhalten: Erinnerungsbilder, die uns anregen, Gegenbilder zu entwickeln; Zukunftsbilder einer Gesellschaft, in der dieser Schrecken nicht mehr zu fürchten ist;

Solche Zukunftsbilder können unser Denken verwandeln und Handeln für eine freie, offene und tolerante Gesellschaft solidarischer Menschen, die einander wertschätzen und unterstützen.
Das ist keine Utopie, sondern eine realistische Perspektive.

Vieles, was wir dafür brauchen, haben wir schon: Frieden, gute Bildung, Wohlstand, einen starken Rechtsstaat und Demokratie mit der Möglichkeit der Teilhabe aller.

An dem Übergang, an dem wir mit unserer Erinnerung stehen, können wir beginnen, Erinnerung von der Zukunft zu befragen: In welcher Zukunft wollen wir leben? Wer wollen wir gewesen sein? Die Bilder und Geschichten dieser gelungenen Ausstellung ermutigen, in diese Richtung zu denken.

Ich möchte der Kuratorin Frau Dr. Elke-Vera Kotowski vom Moses Mendelssohn Zentrum, Frau Krause-Hinrichs von der F.C. Flick Stiftung und dem Fotografen Kai Abresch herzlich Dank sagen.

Ich wünsche der Ausstellung, dass sie von vielen Menschen hier im Landtag, von den Abgeordneten, unseren Besucherinnen und Besuchern sowie von den vielen Schülerinnen und Schülern, die regelmäßig in unserem Haus zu Gast sind, aufmerksam wahrgenommen wird und dass sie eine große Wirksamkeit entfaltet.

Vielen Dank. Jetzt übergebe ich gern das Wort an Frau Dr. Kotowski.