Gespräch mit Ulrike Liedtke

Musikwissenschaftlerin
zwei große Kinder, Enkelkind
Rheinsbergerin
seit fünf Jahren Landtagsabgeordnete im Direktmandat für Neuruppin, Fehrbellin, Temnitz, Lindow und Rheinsberg

Was hat sich verändert in diesen fünf Jahren MdL?
Als ich mein Mandat antrat in Potsdam warb ich für bürgernahe Politik, Wahrhaftigkeit und Vertrauen. Heute möchte ich ergänzen: wir brauchen mutige Politiker mit Herz und Haltung.

Was hast du geschafft?
Aufmerksamkeit für die Erfolge und Probleme in meinem Wahlkreis.
OPR ist offen, positiv und regional stark. Vieles davon trage ich nach Potsdam – Schulsanierung, Straßenbau, Zugverbindung, Netzschwäche, Bürokratieabbau, Wirtschaftsförderung, Fachkräftemangel, Migration, Fontanegeburtstag, zu viel oder zu wenig Denkmalpflege….
Landespolitik betrifft das ganze Land Brandenburg und jeder Abgeordnete bearbeitet konkrete Themen. Meine Themen sind bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen in den Bereichen Bildung, Kultur, Wissenschaft, Forschung und Ländlicher Raum. Ich konnte viel erreichen über Parlamentsanträge, Fachgespräche, Diskussionen. Das fängt beim gerechten Gehalt für Grundschullehrer und Kita-Elternentlastung an und reicht bis zu Förderprogrammen wie regionale Ankerpunkte im ländlichen Raum, institutionelle Förderung der MHB Neuruppin, Obstanbauforschung, wissenschaftliche Erkenntnisse zur CO2-Verringerung, KKW-Abbau, dann wieder Ausstellungsvergütung, Kunst am Bau, Atelierprogramm, Übungsleiterpauschale,  Tariflohn und Mindeststandards für Musiker, Orgelsanierung usw.
Meine Anfragen sind im Internet unter meinem Namen bei Parldok, Parlamentsdokumente Brandenburg zu finden. Oft kamen die Ideen und Anregungen dazu aus Bürgergesprächen.

Zum zweiten Mal kandidierst Du für den Landtag Brandenburg – was willst du dort ab 1. September erreichen?

  • Gute Bildung von der Kita bis zur Ausbildung oder zum Studium, auch Schulsanierung Unterstützung der Erzieher und Lehrer - damit jungen Menschen alle Wege offenstehen.
  • Gute medizinische Versorgung, mehr Landärzte und eine leistungsstarke Medizinische Uni in Neuruppin - für die Gesundheit aller.
  • Gute Straßen, Zug- und Busverbindungen, schnelle Datenautobahnen - für berufliche und persönliche Kontakte.
  • Gute Löhne in einer stabilen Wirtschaft, flexible und unbürokratische Förderprogramme, Transfer zwischen Forschung und Betrieb - um Wirtschaft und Landwirtschaft weiter entwickeln zu können.
  • Gute und vielfältige Kultur- und Tourismusangebote - weil wir leben, wo andere Urlaub machen und es genießen wollen.
  • Gute nachhaltige Energiekonzepte für mehr Klimaschutz - Schüler mahnen und protestieren aktuell zu Recht.

Warum soll man Dich wählen?
Weil ich das, was ich tue, leidenschaftlich und zielstrebig mache. Ich habe einen langen Atem!

Du kandidierst auch für die Stadtverordnetenversammlung Rheinsberg, warum?
Ich möchte gemeinsam mit allen Stadtverordneten Rheinsberg und seine Dörfer weiterentwickeln – Bildungscampus, Sanierung der Mühlenstraße, Projekt soziale Stadt, Umsetzung der Entwicklungsstrategie 2030 – kurzum: die Rheinsberger und ihre touristischen Gäste sollen sich bei uns wohl fühlen!

Die Rheinsberger fragen mich, ob du auch wirklich  in die Stadtverordnetenversammlung einziehen würdest oder nur Zugpferd für die SPD bist?
Selbstverständlich gehe ich in die Stadtverordnetenversammlung, wenn ich gewählt werde.
Alles andere wäre für mich unehrlich.

Du bist Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Ostprignitz-Ruppin. Wie geht es der SPD?
Es geht ihr gut, weil sie aus sehr engagierten Menschen besteht. Im Ernst: wir reden uns oft schlecht, das gehört irgendwie zur Sozialdemokratie dazu.
Die SPD in OPR verjüngt sich gerade durch neue Mitglieder, auch Studierende der Medizinischen Hochschule. Auf kommunaler Ebene passiert SPD-Arbeit ganz direkt mit den Bürgern, im Bürgerbüro oder bei meinen monatlichen Schulplatz-Terminen in Neuruppin. Das macht Spaß, ich nehme alle Fragen ernst und versuche gemeinsam mit den SPD-Unterbezirkskollegen und meinen Büro-Mitarbeitern in Neuruppin und Potsdam Lösungen zu finden. Ob als Landtagsabgeordnete oder Regionalpolitikerin - man ist Kümmerer, im besten Sinne.

Was bedeutet EIN Brandenburg für Dich?
Unser Land zusammenhalten – miteinander denken, fühlen, handeln. Digitalisierung überall, Nachhaltigkeit begreifen und leben, Gleichstellung – Mann und Frau, Deutsch und Migrant, Stadt und Land…  Diskurse führen und im Ergebnis Entscheidungen fällen.

Warum bist du Sozialdemokratin?
Ich denke sozialdemokratisch. 1989 fand ich mit meinen Gedanken und Anliegen hier mein zu Hause. Schwer getan habe ich mich mit dem Eintritt in eine Partei.

Haben Parteien Zukunft?
Den Volksparteien kommt das Volk abhanden. Die Konflikte sind in den letzten gut 20 Jahren andere geworden. Globalisierung und Digitalisierung verändern unser Leben total – wir müssen Europa denken aber dürfen die Welt dabei nicht ausklammern. Digital sind alle, aber die Unterschiede zwischen Stadt und Land werden größer. Die Energiewende ist notwendiger denn je, die Bewegung Fridays for Future hat ihre volle Berechtigung. Ökonomie und Ökologie dürfen einander nicht ausschließen. Hinzu kommen Fluchtbewegungen aus armen Ländern in reiche Länder und wir müssen dafür Lösungen finden ohne Zäune aufzubauen oder Waffen einzusetzen. Die Probleme sind größer geworden und betreffen Menschen verschiedener Nationen gleichermaßen. Nichts ist mehr nur vor der eigenen Haustür zu lösen. Das schafft Ängste, Kurzschlussreaktionen und Populismus.
Eine Wahlperiode oder ein ganzes Politiker-Leben reicht nicht mehr aus, um die Probleme zu lösen, die wir ja auch bis in den kleinsten Winkel der Welt erfahren. Das ist anders als in früheren Zeiten. Ich halte dennoch Demokratie in der westlichen Welt für ein handhabbares, gutes Regierungssystem. Andere Kulturen und deren politische Prinzipien gilt es zu achten und zu respektieren.

Kann Andrea Nahles diese globalen Fragen auf den Punkt bringen und die SPD zusammenhalten?
Nein, ich bin kein Fan von ihr. Sie war eine gute Arbeitsministerin.
Personelle Entscheidungen sind immer schwierig, aber mir fehlen Köpfe wie Sigmar Gabriel oder auch Martin Schulz. Klara Geywitz gehört in die erste Reihe. Wir gehen oft nicht gut mit den eigenen Leuten um.

Hast du politische Vorbilder?
Christine Bergmann, Renate Schmidt, Regine Hildebrandt, Franziska Giffey…

Darf ich dir auch ein paar private Fragen stellen?
Na klar.

Was ist Familie für dich?
Liebe, Mama sein, bedingungslos dazugehören.

Vermisst du die Musikakademie Rheinsberg und das Schlosstheater, Deine alte Wirkungsstätte?
Ja. Ich wohne doch in Rheinsberg. In der Musikakademie und später im Theater konnte ich Spielpläne sehr frei gestalten. Oper, Konzert, verrückte Projekte mit neuer Musik und immer mit sehr jungen Künstlern. In der Kunst müssen Ideen nahezu kompromisslos umgesetzt werden. Und Theater hat immer Zeitdruck, eine Premiere. Ich bin eigentlich nie "arbeiten" gegangen, es war mein Leben. Der Gestaltungsspielraum in der Politik ist kleiner, es dauert alles sehr lange und die anderen von guten Ideen zu überzeugen ist - selbst in der eigenen Fraktion - nicht einfach.

Du lehrst an der Uni Potsdam und bildest künftige Musiklehrer aus, bist Vizepräsidentin im Deutschen Musikrat und im Deutschen Kulturrat, schreibst Stücke für das Deutsch-Arabische Kindermusiktheater Rheinsberg und leitest die Proben jeden Samstag. Du hast den Neuruppiner Musiker Ferdinand Möhring wieder entdeckt und eine Gesellschaft zu seinem Werk gegründet, stehst dem Landesmusikrat Brandenburg vor, schreibst politische Artikel und musikalische Analysen – wie geht das zusammen?
Es gehört zusammen. Alle diese Arbeiten, Erfahrungen, Erkenntnisse, immer wieder neues Wissen nützen einander. Ich habe keine Chance, in eine politische Wolke abzuheben!

Du arbeitest sehr viel, auch an Wochenenden und freien Tagen. Wo liegt der Ausgleich für dich selbst?
Lesen, Blumentöppe um- und umtopfen, manchmal Bootchenfahren und Wasser gucken.
Ich bin übrigens kein Fernsehgucker und habe dadurch vielleicht mehr Zeit. Als Theaterkind war ich ja abends beschäftigt, den ersten Fernseher bekam ich als Studentin und Mama. Aber ich höre Radio und habe so ziemlich alle erreichbaren europäischen Klassiksender eingespeichert. Da gibt es immer wieder Musik, die ich noch nicht kenne.

Gibt es ein Lieblingsbuch?
Nicht nur eins, viele Gedichte und quer durch die Jahrhunderte, Puschkin ist dabei, Sarah Kirsch, ich mag Anne Seghers, Christa Wolf, Brecht natürlich, Durs Grünbein… Seneca, Luther…

Lieblingsfilm?
"Tatsächlich Liebe"!

Lieblingsmusik ?
Was ich gerade vermitteln will, aber Bach immer.

Hast Du ein kluges Lebensmotto?
Nicht nur eins, ich sammle seit ich schreiben kann Sprüche von klugen Leuten, aus Literatur, Opern… Aktuell hängt am Schrank im Landtagsbüro Beethovens Stammbucheintragung von 1792: Wohltun wo man kann. Freiheit über alles lieben. Wahrheit nie, sogar am Throne nicht verleugnen.

Braucht die Politik Dich?
Politik braucht auch Menschen, die mit den Ohren denken.

Die Fragen stellte Jens Flegel.