Das alte Lied
Weihnachtsgeschichte für das Adventskonzert der Rheinsberger Chöre im Schlosstheater Rheinsberg 8. Dezember 2024
Stellen Sie sich vor, Sie sollen für den 2. Advent im Schlosstheater ein Lied komponieren. Für den Frauenchor. Alle Noten sind verschwunden, bei so viel Heimlichkeit in der Weihnachtszeit kommt das schon mal vor. Was könnte man also tun? Eine Probe des Frauenchores besuchen, um den halben See spazieren oder zum Leuchtturm, vielleicht warten Sie auf Ideen, während der Schnee leise rieselt.
Alle Jahre wieder dieses Theater im Theater, man weiß nie, ob alle gut vorbereitet sind. Mal hat eine der Damen zwei verschiedene Schuhe an, dann klingelt das Telefon mitten im Konzert und nun sind die Noten weg. Vor lauter Vorfreude, schönster Freude, entscheiden Sie sich, erst einmal die Lichter anzuzünden und mit Recherchearbeit in der Weihnachtsbäckerei zu beginnen. Hier gibt es so manche Leckerei. Zwischen Mehl und Milch begegnen Sie einem Knilch, der eine riesengroße Kleckerei veranstaltet und dann auch noch das Ei neben der Schüssel aufplatschen lässt. Dann verbrennen Ihnen die Plätzchen. Das hätte es bei Bäcker Läge nie gegeben.
Während Sie also immer noch nach Ideen für Ihr Weihnachtslied suchen und durch das Winterwunderland von Hansi Hinterseer stapfen, denken Sie über Reime nach. Bei Hansi Ferne und Sterne, zu zweit und Winterwald … hm, reimt sich nicht wirklich. Dann Knistern und Flüstern, dann Gretel und Hans und wieder der weiße Winterwald – passt auch nicht. Flocken und Erschrocken, wer erschreckt sich schon vor weißen Flocken? Plätzchen und Kätzchen mag ja gehen und dann wandert er unvermittelt wieder durch den weißen Winterwald. Nicht sehr ergiebig.
Dennoch, um das Lied zu schreiben, brauchen Sie zuerst einen Text. Sie blicken auf das Rheinsberger Schloss und denken an Silber und Gold. Silber und Gold hab ich nie gewollt, ich will nur dich, nur dich allein – das ist doch wohl kein Weihnachtslied! Aber vielleicht fiel Wolfang Petry dieser Songtext ein, als er das Weihnachtslied vom Leuchten wie Silber und Gold im Kopf hatte. Der muss wohl auch so angefangen haben wie Sie jetzt, also mit nichts, auf der Suche nach Worten und Reimen und in der Hoffnung, dass sich von ganz allein eine Melodie dazugesellen würde.
Über dem Schloss erstrecken sich tausend Sterne wie ein Dom in stiller weltenweiter Nacht. Ein Licht blüht auf im Kerzenschein, das uns empfängt und glücklich macht – ganz genau sehen Sie diesen einen Stern, der über dem Schloss steht. Und gerade in diesem Moment fangen die Glocken der Sankt Laurentius Kirche an zu klingen in ihrer kleinen Terz, nicht wirklich süß, eher wie wenn man an eine Gießkanne schlagen würde, Stahlglocken halt. Aber jetzt gerade klingeln sie anders als sonst, süßer die Glocken nie klingen als in der Weihnachtszeit.
Und wieder denken Sie über Reime nach:
Klingen und Singen, die Erde entlang. Für Frieden und Freud.
Durch die Stille der Nacht rennt ein kleiner Junge mit seiner Spielzeugtrommel in der Hand, will zu dem Stall wo die Krippe steht. Rammtamtam, Rammtamtam und die Trommel klang, Rammtamtam - durch das Land. Reimt sich auch nicht.
Also von vorn: Was reimt sich auf Herz? Scherz, Terz, März, Erz, Nerz, Vorwärts, Schmerz. Schmerz geht nicht, es soll ein Weihnachtslied werden. Vorwärts ginge noch, hat ja auch mit dem Konzert zu tun. „Der Männerchor singt für’s Herz, deshalb heißt er nun „vorwärts.“ Na ja, muss nicht sein, wäre aber ein Anfang.
Auf Advent reimt sich immerhin Ken(t) – also, der von Barbie. Auf Nacht braucht man noch einige Reime wie zum Beispiel Acht, Verdacht, gelacht, gemacht, die Tracht, die Pacht - oder - dass es gewaltig kracht. Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht. Das passt. Aber was ist bitteschön ein trautes Paar, ein vertrautes vielleicht aber ein trautes? Holder Knabe im lockigen Haar, sein eigenes? Das der Mutter? Ein Schlaflied, da kriegt man den Text nicht mehr so genau mit. Jetzt reimt es sich tatsächlich gut – lieb aus deinem göttlichen Mund, da uns schlägt die rettende Stund‘, Christ in deiner Geburt. Ich dachte, der wäre schon geboren worden und wird jetzt in den Schlaf gewiegt? Vielleicht ist der Text doch nicht so wichtig, weil die Melodie wichtiger ist?
Ganz bestimmt haben die Autoren des bekanntesten deutschen Weihnachtsliedes „Stille Nacht, heilige Nacht“ darüber nachgedacht. Joseph Mohr schrieb den Text, weltweit in 320 Sprachen und Dialekte übersetzt und überall gesungen. Die Melodie von Franz Xaver Gruber entstand 1818 und erklang am Heilig Abend im Duett zwischen Dichter und Komponist, der Dichter, ein Tenor war Hilfspfarrer und der Komponist war ein Dorfschullehrer und Organist, Bariton. Duett zweier Männerstimmen. Lange hielten die Gemeinden den Chorsatz für ein Volkslied. Aber irgendjemand musste es sich doch ausgedacht haben. König Friedrich Wilhelm der IV. von Preußen liebte es besonders, seine Hofkapelle spielte „Stille Nacht“ für ihn. Bücher wurden über dieses Lied geschrieben, ein Film erzählt eine ausgedachte Entstehungsgeschichte, in Oberndorf bei Salzburg entstand ein Gruber- Museum und später ein „Stille Nacht- Museum“. 2011 wurde das Lied „Stille Nacht heilige Nacht“ in die Liste des immateriellen Kulturerbes Österreichs aufgenommen.
Ganz ehrlich – und bitte seien Sie jetzt nicht beleidigt -: Sie müssen kein neues Weihnachtslied komponieren. Das schönste Weihnachtslied ist schon da und Noten braucht man dafür auch nicht, weil es alle Chorsänger und Chorsängerinnen auswendig können. Und der Text? Wer hat schon über diesen Text ernsthaft nachgedacht? Manchmal siegt halt die Musik über den Text. Und ein Lied, ein einfaches Lied, bringt Ruhe und Frieden. Stille Nacht, heilige Nacht.